Germania: Roman (German Edition)
trug sie einen schwarzen Hosenanzug. Die einzigen Farben waren ihre kastanienbraunen Haare und der rote Lippenstift, der Oppenheimer wie das Rücklicht eines Autos ins Gesicht schien.
Zunächst hatte er eine Rivalität zwischen den beiden Frauen vermutet, doch schon nach wenigen Minuten musste er sein vorschnelles Urteil revidieren. Fräulein Behringer hatte die Nachricht über Inge Friedrichsens Tod an diesem Morgen erhalten und war sichtlich erschüttert. Während der Befragung kam Oppenheimer zu dem Schluss, dass sie intelligent und lebenslustig war. Ihren Aussagen nach zu urteilen, schien Inge Friedrichsen diese Charaktermerkmale mit ihr zu teilen. Die beiden hatten sich so gut verstanden, dass sie auch häufig ihre Freizeit miteinander verbrachten.
»Am Freitagabend sind wir miteinander ausgegangen, danach ist sie plötzlich verschwunden.«
»Wann haben Sie beide sich getroffen?«
»Sie kam nach der Arbeit gleich mit zu mir, um sich frisch zu machen. Dann sind wir zum Bahnhof Zoo. Dort haben wir Günter getroffen. Er hatte noch einen Freund dabei, ich glaube, er hieß Hans-Georg.«
»Wer ist dieser Günter?«
Nachdem Fräulein Behringer eine Weile herumgedruckst hatte, stellte sich heraus, dass Günter ihr heimlicher Verlobter war. Niemand außer Inge Friedrichsen wusste im Büro etwas davon. Oppenheimer notierte sich die Adresse des Verlobten.
»Was hatten Sie beide an diesem Abend vor?«
»Wir sind etwas trinken gegangen. Sonst kann man ja nicht mehr viel unternehmen seit dem Tanzverbot. Wir hatten vor, später noch ins Kabarett zu gehen, das Berolina am Alex. Aber dann haben wir ganz die Zeit vergessen, und im Berolina hatte die Vorstellung schon um halb sechs begonnen. Inge wollte dann los ins Kino. Zur Abendvorstellung«
»Hat sie sich häufig Filme angeschaut?«
»Ach, ständig. Aber an diesem Wochenende lief überall noch der letzte Film mit dem George. Der Verteidiger hat das Wort oder so ähnlich. Nur im Titania-Palast draußen in Steglitz lief ein anderer Film. Irgendwas mit Hans Moser. Den wollte sie sehen. Aber dann hatte ich keine Lust, noch nach Steglitz zu fahren, und die österreichischen Filme mag ich sowieso nicht. Da hat sich Inge allein auf den Weg gemacht.«
»Hat keiner sie begleitet?«
Bei dieser Frage zitterten Fräulein Behringers Lippen. Schließlich atmete sie tief durch und sagte: »Ich weiß, wir hätten das tun sollen. Doch Günter wollte noch mit mir zusammenbleiben, und ich befürchte, Hans-Georg war nicht mehr nüchtern. Ich schätze, ich hätte das verhindern können. Manchmal scheint es so, als würde man immer die falschen Entscheidungen treffen.«
»Wann hat sie sich verabschiedet?«
»Gegen halb sechs. Halb acht begann die Filmvorstellung. – Hat sie sehr gelitten?«
Oppenheimer entschied, dass es nutzlos war, Fräulein Behringer mit der Wahrheit zu belasten. »Nein, sie war sofort tot. Sie hat nichts gespürt.«
»Gott sei Dank. Wenigstens das.«
Befragt nach dem Arbeitsklima bei Höcker & Söhne, nahm Fräulein Behringer kein Blatt vor den Mund. »Unter uns, sie war froh, den alten Bock nicht am Hals zu haben«, sagte sie in Bezug auf ihren Arbeitgeber. »Zum Glück kann ich damit umgehen, wenn mir die Chefs nachstellen, und kann diese Situationen entschärfen. Ich weiß nicht, wie Inge darauf reagiert hätte.« Ihre Augen wurden wieder feucht.
»Gab es Offerten von Herrn Höcker?«
»Nein. Das weiß ich ganz sicher. Sie hätte es mir gesagt. Außerdem war sie nicht so eine, wenn Sie verstehen.«
»Hatte sie einen Verlobten?«
»Ich glaube, sie hat einen Verlobten an der Front. Den Namen hat sie mir nie gesagt.«
»Und was passierte, wenn sie ausgegangen ist? Hat sie jemandem schöne Augen gemacht?«
Fräulein Behringer schüttelte vehement den Kopf. »Nie. Zumindest nicht in meiner Gegenwart.«
»Es gab also sonst niemanden in der Stadt, mit dem sie eine, sagen wir mal, engere Verbindung hatte?«
»Sie hatte keine Verwandte hier, und von Freunden hat sie mir auch nichts gesagt.«
Auf diese Weise kam er nicht weiter. Oppenheimer wechselte das Thema. »Wo hat sie davor gearbeitet?«
»Das – weiß ich nicht genau«, sagte Fräulein Behringer stockend. Dann platzte es aus ihr heraus. »Auf jeden Fall ist Inge eine anständige Person gewesen.«
Oppenheimer horchte auf. Er wunderte sich, was dieser Ausbruch mit seiner Frage zu tun hatte. »Na, na, das habe ich ja nicht bezweifelt, junge Frau«, beruhigte er sie. »Ich habe nicht vor, ihr
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