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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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gesehen?«
    »Erst wieder, als sie schon tot war.«
    Oppenheimer blickte Frau Korber scharf an, doch dann erinnerte er sich an den Bericht des Assistenten im Leichenschauhaus. »Sie meinen, als Sie Ihre Mieterin identifiziert haben?«
    Frau Korber schluckte und nickte.
    »Wo hat Fräulein Friedrichsen gearbeitet?«
    »Soviel ich weiß, bei einem Schnapshändler. Ücker oder so.«
    »Ücker? Nie gehört. Nun ja, das werden meine Kollegen sicher herausfinden.«
    Voglers Leute hatten Inge Friedrichsens Wohnung bereits am Samstag in Augenschein genommen. Jedoch wollte Oppenheimer den Raum selbst begutachten, um sicherzugehen, dass sie nichts übersehen hatten. Auf dem Nachttisch stand eine leere Wasserschüssel, daneben ein Wecker. In der Schublade darunter fand er einige Programmhefte, wie es sie bis vor kurzem noch überall in den Kinos zu kaufen gab. Er blätterte lustlos durch den Papierstapel. Ganz oben befand sich ein Programm von Immensee mit Carl Raddatz und Kristina Söderbaum, die von den Kinogängern auch Reichswasserleiche genannt wurde, da sie auf der Leinwand bevorzugt tragische Heldinnen verkörperte, die am Schluss allesamt einen nassen Tod fanden. Darunter lagen die Programme für Ich vertraue Dir meine Frau an mit Publikumsliebling Heinz Rühmann in der Hauptrolle, Großstadtmelodie mit Werner Hinz und Hilde Krahl, und dann kamen noch viele andere, die Oppenheimer nicht betrachtete. Obwohl die meisten dieser Filme kaum ein paar Monate alt waren, wirkten die Szenenphotographien wie archäologische Funde aus einer längst vergangenen Zeit, die beschwingt und fröhlich gewesen war und nichts mit der Realität zu tun hatte. Zwischen den Abbildern all der schönen, heiteren Menschen stieß Oppenheimer auf eine Mappe. Als er sie öffnete, erblickte er das Gesicht von Inge Friedrichsen.
    Manchmal war es ein Schock, Photos der Menschen zu sehen, von denen man bislang nur den leblosen Körper kannte. Durch die Bilder verwandelten sich die anonymen Toten zu Persönlichkeiten und ließen sich fortan nicht mehr nur als ein abstraktes Problem wahrnehmen. Erst jetzt konnte Oppenheimer das volle Ausmaß der Tragik dieses Falles begreifen.
    Inge Friedrichsen kümmerte sich nicht um die Kamera, sondern blickte lächelnd auf ein Baby, das erst ein paar Tage alt zu sein schien. Ihr Antlitz strahlte vor Stolz und Ungläubigkeit über das Wunder, das in ihren Armen lag. Oppenheimer war dieser Gesichtsausdruck schon einige Male in seinem Leben begegnet. Er war unverkennbar. Auch Lisa hatte ihn gehabt während der ersten Tage nach der Entbindung ihrer Tochter. Inge Friedrichsen musste die Mutter dieses Kindes sein.
    »Wo ist das Kind?«, fragte Oppenheimer.
    Frau Korber schien nicht zu begreifen. »Was meinen Sie?«, stammelte sie.
    »Das Kind von Frau Friedrichsen. Wo befindet es sich?«
    »Na hören Sie mal!«, rief sie empört. »Sie war nicht verheiratet! Sie kann kein Kind haben. Zumindest weiß ich nichts davon. Hätte sie mir von so etwas erzählt, dann hätte ich sie doch nicht bei mir einziehen lassen! Das ist ein anständiges Haus!«
    Oppenheimer betrachtete Inge Friedrichsen mit neuen Augen. Fortan war sie für ihn eine Frau mit einer Biographie – und mit einem Geheimnis.

    Hoffmann wartete bereits auf Oppenheimer, als dieser aus Frau Korbers Haus trat. Sobald er ihn erblickte, setzte er sich erwartungsvoll auf den Sitz seines Motorrads, bereit für eine weitere Höllenfahrt durch den Hindernisparcours, der früher einmal das Berliner Straßennetz war. Oppenheimer musterte ohne Begeisterung den Seitenwagen und überlegte kurz. Es war zwar erst Mittag, doch ohne die Adresse des ominösen Schnapshändlers, bei dem Inge Friedrichsen gearbeitet hatte, konnte er vorerst nicht viel ausrichten. Außerdem musste er noch dringend etwas erledigen, von dem die SS nichts erfahren sollte.
    »Danke, ich werde Sie heute nicht mehr brauchen«, sagte er zu Hoffmann. Großmütig fügte er hinzu: »Machen Sie sich ruhig noch einen schönen Tag. Morgen früh sehen wir uns wieder.«
    Hoffmann glotzte ihn wortlos durch seine Motorradbrille an, tippte zum Abschied mit dem Finger an seine Lederkappe und startete den Motor. Damit hast du jetzt nicht gerechnet, nicht wahr?, dachte Oppenheimer, als er seinen Fahrer verschwinden sah. Er war sich sicher, dass Hoffmann oder einer seiner Kollegen bald zurückkommen würde, um ihn zu überwachen. Die Zeit drängte also. Er musste unbeobachtet zum Schweren Ede, um mit ihm zu reden, sonst war

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