Germania: Roman (German Edition)
man dort für Sekretärinnen haben mochte.
Nachdem Höcker sie höchstpersönlich durch die Firma geführt und ihnen die wichtigsten Daten mitgeteilt hatte, beschlossen Vogler und Oppenheimer, mit der Belegschaft zu sprechen. Vogler zog sich dazu in ein separates Zimmer zurück.
Als der Besucher von der SS den Raum verlassen hatte, blickte Höcker Oppenheimer unsicher an.
»Oppenheimer«, murmelte er, »ich kannte mal einen Oppenheimer. Wir waren zusammen im selben Regiment, damals im Krieg.«
Oppenheimer erinnerte sich plötzlich, wo er Höckers gedrungene Gestalt schon einmal gesehen hatte. Mit einem Mal fielen ihm auch wieder die schlechten Witze ein, mit denen Höcker seine Kameraden damals unterhalten hatte. »So trifft man sich wieder, Gerd«, entgegnete Oppenheimer.
»Mensch, Richard«, sagte Höcker erfreut und drückte Oppenheimers Hand mit seiner Pranke. Als sie zusammen beim Militär waren, hatten sie sich nicht sonderlich nahegestanden, obwohl man auch nicht behaupten konnte, dass sie sich bewusst aus dem Weg gegangen waren. Doch Höcker schien nicht gewillt, sich durch diese kleine Lappalie das nostalgische Erinnern an den gemeinsamen Kriegsdienst vermiesen zu lassen. Zufrieden damit, einen alten Kameraden gefunden zu haben, lästerte er über ihren betrunkenen Spieß und erkundigte sich nach anderen Kameraden, deren Namen Oppenheimer bislang noch nie gehört hatte. Schließlich fragte Höcker vertraulich: »Ich wollte es nicht erwähnen, solange dieser Vogler hier ist. Aber soviel ich weiß, bist du doch Jude, nicht wahr? Wie kommt es dann, dass du jetzt für die SS arbeitest?«
»Ich bin konvertiert.« Es war die erstbeste Lüge, die Oppenheimer einfiel. Er hatte keine Lust, langwierig zu erklären, warum er mit dem Fall zu tun hatte. Oppenheimer wusste, dass sich seine prekäre Lage auch nach einem Übertritt zum Christentum nicht grundlegend geändert hätte. Das Ehepaar Bergmann musste ebenfalls mit Oppenheimer im Judenhaus wohnen, obwohl sie beide konvertiert und katholisch getauft waren. Immerhin hatte man die Bergmanns als sogenannte Judenchristen noch nicht evakuiert. Doch Höcker gab sich mit Oppenheimers banaler Antwort zufrieden.
»Sehr vernünftig, Richard, sehr vernünftig. Keinen Sinn, sich das Leben dadurch zu vermiesen, dass man Geltungsjude bleibt, was? Damit du mich recht verstehst, ich habe nichts gegen Juden im Allgemeinen. Aber es ist auch nicht zu bezweifeln, dass der Jude an sich kein Deutscher sein kann. Und all die Geschichten, die über Juden so erzählt werden, da muss es doch einen wahren Kern geben, nicht wahr? Obwohl, ganz unter uns, ich habe das Gefühl, dass der Führer mit seiner Judenpolitik ein bisschen übertreibt. Es gibt ja auch schließlich Ausnahmen wie dich. Leider will das niemand wissen.«
Oppenheimer beschlichen ernsthafte Zweifel, ob er sich geehrt fühlen sollte. Höcker nahm eine Zigarre aus einer Schachtel, die auf einem repräsentativen Bürotisch stand.
»Auch eine?«
Oppenheimer nickte und steckte sich gleich zwei Zigarren ein. Er hätte sie auch von seinem ärgsten Feind angenommen. Mit blutendem Herzen beobachtete er, wie Höcker die Spitzen seiner Zigarre mit den Zähnen abbiss und sie dann entzündete. »Feuer?«
»Danke, nein«, antwortete Oppenheimer. »Ich hebe sie mir für später auf.«
»Ah, verstehe. Schön, möchtest du sonst noch was? Gin, Whisky, vielleicht ein Gläschen Wein gefällig?«
»Vielen Dank, aber ich befürchte, dass ich mit der Befragung beginnen muss.«
»Aber natürlich. Die Arbeit wartet nicht. Klar. Bin schon weg. Mein Büro steht dir zur Verfügung. Kann ich jemanden für dich rufen?«
»Wer hat mit Fräulein Friedrichsen zusammengearbeitet?«
»Hm, das wäre Fräulein Behringer.« Voller Besitzerstolz fügte er noch hinzu: »Meine Hauptsekretärin.«
»Die würde ich gerne sprechen.«
»Kommt sofort«, sagte Höcker und tänzelte aus dem Raum. Bei seiner stämmigen Figur war dies ein absurder Anblick.
Als Oppenheimer Fräulein Behringer in Augenschein nahm, war ihm sofort klar, warum Höcker sie eingestellt hatte. Während Sekretärinnen wie Fräulein Friedrichsen Kenntnisse in Orthographie und gute Zeugnisse benötigten, um beschäftigt zu werden, gehörte Fräulein Behringer zu der Art von Mitarbeiterinnen, mit denen sich Chefs zu schmücken pflegten. Trotz allem wirkte sie auf Oppenheimer in keiner Weise vulgär. Sie kleidete sich einfach, doch effektiv. Als habe sie den Trauerfall vorausgeahnt,
Weitere Kostenlose Bücher