Germania: Roman (German Edition)
ihm die obligatorischen Zigaretten gab, fragte sie: »Was tun wir jetzt? Kannst du demnächst wiederkommen, obwohl du überwacht wirst?«
»Lass mir ein paar Tage. Ich denke mir etwas aus, um sie auf die falsche Fährte zu locken. Damit sie keinen Verdacht schöpfen. Nächsten Sonntag bin ich wieder da, mit neuen Ergebnissen. Darauf kannst du dich verlassen. Weißt du, wenn ich so überlege, vielleicht könnten wir den Fall wirklich zusammen knacken.«
Oppenheimer blickte auf die Zigaretten in seiner Hand. Sehnsüchtig seufzend steckte er sie behutsam in sein Zigarettenetui und ließ es zuschnappen. Es war wohl die Zeit gekommen, ein Opfer zu bringen.
8
Montag, 15. Mai 1944 – Dienstag, 16. Mai 1944
I nge Friedrichsen hatte ein kleines Mansardenzimmer bewohnt. Frau Korber stand in der Tür, als Oppenheimer den Raum inspizierte. Er spürte, wie die Vermieterin jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgte. Da die resolute Dame sich offenbar dazu entschlossen hatte, ihm nicht von der Seite zu weichen, konnte er sie auch gleich befragen.
»Wer bewohnte dieses Zimmer ursprünglich?«
»Mein Neffe«, antwortete Frau Korber. »Theo. Er ist gerade an der Front, und da dachte ich, er würde nichts dagegen haben, wenn ich sein Zimmer bis zum Endsieg vermiete.«
Oppenheimer fiel auf, mit welcher Selbstverständlichkeit Frau Korber das Wort Endsieg benutzte. Kein bisschen Ironie schwang dabei mit. Sie schien daran zu glauben wie an ein Naturgesetz. Oppenheimer hatte so etwas bereits geahnt, als er in einer Ecke des Wohnzimmers einen kleinen Altar gesehen hatte, auf dem ein kunstvoll gebundenes Exemplar von Mein Kampf vor der Reproduktion eines Gemäldes lag, das Adolf Hitler ausgerechnet in einer glänzenden Ritterrüstung zeigte. Trotz allem schätzte Oppenheimer die Wahrscheinlichkeit als gering ein, dass Frau Korber wirklich jemals Hitlers Buch gelesen hatte. Selbst unter den Hundertprozentigen gab es nur wenige, die sich dies freiwillig angetan hatten. Ähnlich einer verstaubten Familienbibel war das Werk eher eine Devotionalie, mit der man seine Gesinnung zur Schau stellte, als eine Lektüre, in der man wirklich zur Erbauung schmökerte.
Oppenheimer ließ seinen Blick durch Inge Friedrichsens Zimmer schweifen, das von der Dachschräge dominiert wurde. Obwohl in der Gaube ein Fenster eingelassen war, reichte das Tageslicht nicht aus, um den Raum zu erhellen.
»Sie gestatten?«, fragte Oppenheimer und betätigte den Lichtschalter. Eine nackte Glühbirne vertrieb die Schatten. In dem Zimmer stand nichts weiter als ein Bett, ein riesiger Kleiderschrank, ein Stuhl und ein Nachttisch. Kaum etwas deutete darauf hin, dass hier eine Frau gewohnt hatte. Alles war zweckmäßig eingerichtet, die einzigen Dekorationsgegenstände waren zwei gerahmte Photographien an der Wand. Auf dem ersten Photo sah man einen jungen Mann in einer Uniform. Auf dem zweiten Bild saß derselbe junge Mann zwischen seinen Freunden und prostete vergnügt in die Kamera.
»Ihr Neffe?«, fragte Oppenheimer und deutete auf die Bilder.
Frau Korber nickte. »Der Junge wird auf die fliegertechnische Hochschule gehen. Er braucht noch Fronterfahrung, um sich bewerben zu können.«
»Wo hat Fräulein Friedrichsen ihre Sachen untergebracht?«
»Sie durfte die rechte Seite des Kleiderschranks und den Nachttisch benutzen.«
Oppenheimer öffnete die Kleiderschranktür und betrachtete den Inhalt. Es war nicht viel, lediglich zwei Paar Schuhe, drei Blusen, die Fräulein Friedrichsen wohl bereits umgearbeitet hatte, und ein schwerer Wintermantel, den sie bestimmt schon vor Inkrafttreten der Spinnstoffverordnung gekauft hatte.
»Seit wann wohnte sie hier?«
Frau Korber dachte kurz nach. »Das müssten jetzt zehn Monate sein. Eingezogen ist sie letzten Juli, glaube ich.«
»Wo kam sie her? Hatte sie Bekannte oder Verwandte in Berlin?«
»Ich glaube, Verwandte hatte sie hier keine. Zumindest hat sie nie was davon erzählt. Sie kam aus der Nähe von Hannover. Abends ging sie immer aus, obwohl ich ihr wiederholt gesagt habe, dass sich das für eine unverheiratete Frau nicht schickt. Nun, das hat sie jetzt davon.«
»Wann hat sie am Freitag das Haus verlassen?« Oppenheimer setzte sich auf das Bett und durchsuchte den Nachttisch.
»Gleich in der Früh. Später ist sie hier nicht mehr aufgetaucht. Das hat sie am Wochenende häufig gemacht, sagte, sie sei bei einer Freundin. Na ja, wer’s glaubt …«
»Danach haben Sie Fräulein Friedrichsen nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher