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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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»Beides lässt sich im vorliegenden Fall nicht zweifelsfrei nachweisen. Kürten hat die Opfer nicht versteckt, sondern einfach am Tatort liegen lassen. Er wollte schnell fort und kümmerte sich nicht darum, ob sie gefunden werden. Das wäre Unterschied Nummer eins. Bei unserem Täter sind Tatort und Fundort nicht identisch.«
    »Gibt es schon Hinweise, wo der eigentliche Tatort zu suchen ist?«, fragte Hilde.
    »So, wie ich es einschätze, tappen sie noch im Dunkeln.«
    Hilde starrte gedankenversunken in ihr Glas. »Ein weiterer Unterschied sind natürlich die Wunden. Die von Kürten verursachten Verletzungen hingen direkt mit dem Töten oder dem Ausleben seines Sexualtriebes zusammen. Messerstiche, eingeschlagene Köpfe, eingerissene oder verstümmelte Scheiden. Doch die Messerführung war eher laienhaft. Eigentlich war dieser Kerl nichts weiter als ein langweiliger kleiner Messerstecher.«
    »Seine Opfer werden nicht so gedacht haben«, bemerkte Oppenheimer tadelnd. »Aber du hast recht, die Schnitte sind Unterschied Nummer zwo. Kürten verletzte seine Opfer eher durch Stichwunden. Wenn er Kehlen durchschnitt, dann variierte die Ausführung. In unserem Fall sind die Schnitte exakt und sauber. Mit dieser Beobachtung können wir weiterarbeiten. Wer außer einem Arzt kann dafür noch in Frage kommen? Hm. Ein Metzger, ganz klar. Das wäre das Naheliegende.«
    »Dann wären wir wieder bei Haarmann und Großmann. Beide waren als Fleischer tätig. Die meisten Massenmörder haben früher Gewalt gegen Tiere ausgeübt oder waren Brandstifter. Bei vielen trifft beides zu.«
    Oppenheimer hielt inne. Ihm war ein Gedanke gekommen. »Ist dir schon mal aufgefallen, wie viele potenzielle Triebtäter es gibt?«
    »Vielleicht ist das der Preis, den wir dafür zahlen müssen, dass wir ein Schnitzel auf den Teller bekommen.«
    »Als ich die Vernehmungen von Großmann protokollieren musste, habe ich zehn Monate lang keine Wurst mehr essen können«, erinnerte sich Oppenheimer. »Und mir schmeckt sie immer noch nicht besonders.«
    »Dann bist du ja perfekt an unsere Kriegsgesellschaft angepasst. Wurst gibt es erst wieder nach dem Endsieg. Bis dahin müssen Kartoffeln und Rüben reichen.« Hilde gluckste vergnügt vor sich hin, wurde jedoch schnell wieder ernst.
    Oppenheimer fragte: »Ist dir eine Idee gekommen?«
    »Nein«, erwiderte Hilde langsam, »ich denke nur gerade an Kürten. Weißt du noch, was los war, als sie damals in der Umgebung von Düsseldorf überall nackte Leichen von Kindern und Frauen gefunden haben? Es gab eine Massenpanik. Und bei den S-Bahn-Morden hier in Lichtenberg vor ein paar Jahren war es auch knapp davor, brenzlig zu werden, und da flogen den Leuten noch keine Bomben um die Ohren.«
    Oppenheimer nickte. »Kein Wunder, dass diesmal gleich die SS angerückt ist. Sie wissen nicht, wie die Leute reagieren werden, wenn sie von einem solchen Mord erfahren.«
    »Hast du noch nicht bemerkt, dass wir im Land des Lächelns leben? Nein? Dann musst du mal der Propaganda zuhören. In einer intakten Volksgemeinschaft darf es Kriminalität nicht geben. Schön und gut. Die Presse lässt sich vielleicht mundtot machen, doch gegen Gerüchte ist die Partei machtlos. Verunsicherte Menschen sind zu vielem bereit. Vielleicht wäre das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.«
    »Moment, es gibt keinen Hinweis darauf, dass es sich hier um einen Massenmörder handelt, sonst wären schon längst weitere Leichen aufgetaucht. Nun ja, aber es ändert trotzdem nichts daran, dass ich dem Regime helfe, wenn ich den Mörder fange.« Oppenheimer seufzte schwermütig.
    Hilde zuckte mit den Schultern. »So wie die Dinge stehen, kommst du da nicht mehr raus. Dir bliebe nur der Ausweg, aus Deutschland zu verschwinden, doch dazu müsstest du schon Harry Piel oder besser noch Houdini sein. Die Grenzen sind hermetisch versiegelt. Und jetzt, wo die Invasion bevorsteht, erst recht.«
    »Zuerst gibt es einen Mordfall aufzuklären«, wandte Oppenheimer ein.
    Hilde musste wieder lächeln. »Das sieht dir ähnlich, du Arbeitstier.«
    Oppenheimer sinnierte kurz vor sich hin, dann erklärte er: »Nein, ich glaube, der Vergleich mit Großmann und Konsorten bringt uns nicht weiter.«
    Damit ging er zum Grammophon und hob den Tonarm an. Das Presto der Prager Sinfonie brach ab. Behutsam schob Oppenheimer die Schallplatte zurück in ihre Hülle und ordnete sie wieder in seine Sammlung ein. »Ich denke, ich werde gehen. Ist schon spät.«
    Als Hilde

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