Germania: Roman (German Edition)
hier verschüttet wurde?«
»Ich sehe mich um. Vielleicht gibt es eine Klappe für den Notausstieg.« Oppenheimer suchte erfolglos die Wände ab. Es gab nicht mal einen Kamin, durch den man nach oben gelangen könnte. Sie steckten in der Falle.
»Nichts«, sagte Oppenheimer und seufzte. »Wenigstens werden wir hier nicht verhungern.« Er zeigte auf die Konservendosen, die in einem der Schränke gestapelt waren. »Zu trinken ist auch genügend da. Sieht hier fast so aus wie bei Höcker & Söhne.« Die meisten Flaschen waren zwar kaputt, doch der Rest reichte immer noch aus, um sich mehrere Wochen lang betrinken zu können.
Plötzlich drang ein gedämpftes Geräusch an ihre Ohren. Oppenheimer musste genau hinhören, um es durch die dicken Kellerwände zu erkennen. »Es ist – draußen ist Alarm. Es geht wieder los.«
»Diese Schweinehunde«, fluchte Vogler. »Warum macht Göring nichts dagegen?«
Oppenheimer suchte nach einem Drahtfunkempfänger. Da hier viele Vorräte lagerten, bestand die Möglichkeit, dass Reithermann diesen Raum als Zufluchtsort vorgesehen hatte. Mit den Durchsagen im Drahtfunk hätten sie wenigstens eine Ahnung davon gehabt, was sich draußen abspielte, und wären nicht auf Vermutungen angewiesen, die meistens ein schlimmeres Bild der Lage zeichneten, als es wirklich der Fall war. Doch in welche Ecken und Winkel Oppenheimer auch schaute, es ließ sich kein Radiogerät finden. Sie waren völlig von der Außenwelt abgeschnitten.
Es dauerte eine knappe Viertelstunde, bis der Boden wieder zu beben begann. Oppenheimer hatte sechs der Kerzen gelöscht, um zu sparen. Er fragte sich, ob Lisa noch rechtzeitig in einen Bunker gekommen war. Die Geräusche über ihren Köpfen waren gedämpft, doch wenn Oppenheimer genau hinhörte, konnte er neben den Bombentreffern auch die Schüsse der Flaks erahnen. Es schien ein schwerer Angriff zu sein. Seine Vorstellungskraft malte grauenvolle Bilder, Bilder eines Flammeninfernos, das über ihren Köpfen wütete und das die Kellerwände aufheizen würde, bis sie bei lebendigem Leibe gebraten würden, Bilder einer einstürzenden Kellerdecke, die sie beide unter ihrer zentnerschweren Last begrub, Bilder einer Sprengbombe, die die Betondecke durchschlagen würde, um sie hier unten zu zerfetzen. Langsam spürte er, wie Grauen in ihm hochkroch. Er war nicht länger ein Mordkommissar außer Dienst, nicht länger ein Jude, er war nur noch eine schutzlose Kreatur, die zitternd um ihr Leben bangte. Instinktiv griff er nach dem Medikamentenröhrchen in seiner Manteltasche. Er musste unbedingt eine Tablette nehmen, sonst würde er diese Situation nicht mit klarem Verstand überstehen.
Mit der Zunge konnte er die Kanten der Tablette spüren. Oppenheimer dachte in der aufkommenden Panik nicht daran, eine Flasche Wein zu öffnen, um sie damit hinunterzuspülen. Als er die Tablette trocken geschluckt hatte, spürte er schon bald die ersten Anzeichen von Erleichterung. Die Gier seines Organismus nach einer weiteren Dosis war endlich befriedigt worden, der Körper wusste, was nun folgen würde, und stellte sich auf die wohltuende Wirkung ein. Bald würde seine Lage die Schrecken verlieren. Es würde wieder so sein wie früher, als er seine Position bei der Kriminalpolizei souverän ausgefüllt hatte. Oppenheimer wartete darauf, dass seine alte Persönlichkeit die Oberhand gewann.
Vogler blinzelte zu ihm hinüber.
»Was ist das?«, fragte er. Er verengte seine Augen zu Schlitzen, um die Aufschrift auf dem Medikamentenröhrchen zu erkennen. »Ist das etwa – Pervitin?«
Oppenheimer nickte.
»Geben Sie mir eine?«
Die Bitte traf Oppenheimer wie ein Schlag. Er war hin- und hergerissen, denn es handelte sich um seine eiserne Reserve. Andererseits hatte Vogler sie dringend nötig. Er litt große Schmerzen, auch wenn er sich in den letzten Minuten zusammengerissen und keinen Laut von sich gegeben hatte. Zögernd reichte Oppenheimer ihm eine Tablette. Vogler zerkaute und schluckte sie.
Er seufzte zufrieden. »Gut.« Nach einer Weile fragte er: »Brauchen Sie welche?«
»Was meinen Sie?«
»Pervitin. Ich kann ohne Rezept drankommen. Männer im Wehrdienst bekommen ihr eigenes Kontingent. Hatten Sie nicht gewusst, dass das Zeug auch in unserer Panzerschokolade drin ist?« Vogler musste lachen.
Oppenheimer schüttelte den Kopf. Dann fing auch er zu lachen an.
»Mein Vorgesetzter an der Front nannte Pervitin immer Hermann-Göring-Pillen «, sagte Vogler glucksend.
»Das ist
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