Germania: Roman (German Edition)
gut«, japste Oppenheimer. Obwohl dies eigentlich nicht sonderlich lustig war, schossen ihm Lachtränen in die Augen.
»Dann gibt es noch eine Bezeichnung«, stieß Vogler hervor. »Stuka-Tabletten!«
Sie beide wieherten vor Belustigung. Schon bald schmerzte Oppenheimers Zwerchfell.
»Ich besorge Ihnen neue, falls wir hier wieder herauskommen. Wie viele brauchen Sie? Tausend Stück?«
Oppenheimer wurde ernst. Tausend Tabletten waren für ihn eine unvorstellbare Menge. »Also, wenn Sie das tun würden …«, stammelte er.
»Aber natürlich. Wir zwei müssen schließlich zusammenhalten.«
Oppenheimer blickte sich um. »Bis auf das Pervitin und den Drahtfunk haben wir hier unten ja eigentlich alles, was man so braucht. Konserven, Alkohol. Hier ließe es sich schon eine Weile aushalten. Vielleicht buddeln sie uns auch erst wieder aus, wenn der Krieg vorbei ist.« Er musste wieder lachen.
»Dann sehe ich endlich Germania«, sagte Vogler. Oppenheimer hielt es zunächst für einen Scherz, doch die leuchtenden Augen des Hauptsturmführers besagten das Gegenteil. »Vielleicht. Wenn man uns erst in hundert Jahren ausgraben würde, frage ich mich, was wir dann zu sehen bekämen.«
Oppenheimer erkannte eine neue Facette von Voglers Persönlichkeit: In seinem tiefsten Inneren war er ein Schwärmer. »Wissen Sie, mein Vetter arbeitet im Konstruktionsbüro von Speer«, erklärte Vogler. »Es gibt da eine Zeichnung. Speer hat sie entworfen, um dem Führer zu zeigen, was von Germania übrig bleiben wird. Wie die Ruinen in Tausenden von Jahren aussehen werden. Unser Vermächtnis an die Nachwelt. Ich habe die Zeichnung selbst gesehen. Etwas Erhabeneres ist mir bislang nicht untergekommen. Es sieht fast aus wie« – er rang nach Worten – »wie das alte Rom.«
»Dann leben wir also in einem neuen Rom?«, fragte Oppenheimer zweifelnd.
»Es gibt eindeutige Parallelen«, beharrte Vogler. »Der deutsche Gruß, den die Römer unserer germanischen Kultur entlehnt haben, sogar die SS. Die Leibstandarte Adolf Hitler hat exakt dieselbe Funktion wie damals die Prätorianergarde«, sagte er stolz. »Was meinen Sie, welchem römischen Kaiser ähnelt Hitler?«
Überrumpelt erwiderte Oppenheimer: »Eigentlich kenne ich nur Caesar und Nero.«
Vogler lachte. »Na, dann wären die Parallelen zu Nero deutlicher. Leider wird er heutzutage falsch eingeschätzt. In Wirklichkeit war er ein guter Politiker. Er vertraute auf die Prätorianer, verstand, dass man mit Gewalt regieren muss. Dass Altes ausgemerzt gehört, wenn man Neues erschaffen will.«
»Ich habe irgendwo gelesen, dass Nero seine Hauptstadt zu Neropolis umbauen wollte, um seinen Ruhm zu festigen. Deswegen setzte er das alte Rom in Brand.«
Vogler überlegte kurz, ein Lächeln auf den Lippen. »Natürlich gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen Nero und dem Führer«, sagte er dann. »Nero war verrückt.«
Dann lachte er wieder, fast ein wenig zu spät. Bildete sich Oppenheimer das ein, oder hatte er ihm dabei einen vertraulichen Blick zugeworfen? Er stand vor einem Rätsel. Gab es an dem SS-Mann etwa andere Seiten? Was glaubte Vogler wirklich?
»Ich muss pinkeln«, sagte Oppenheimer schließlich.
Vogler zeigte in eine Ecke des Raumes. »Ich glaube, da hinten ist ein Eimer.«
Neugierig musterte Vogler Oppenheimers beschnittenen Penis, während sich dieser in den Behälter erleichterte.
»Woher wissen Sie so viel über Rom?«, fragte Oppenheimer.
»Mein Vater war Lateinlehrer. Das ist so ziemlich das Einzige, was er mir beigebracht hat.«
»Sie sprechen in der Vergangenheitsform. Lebt er etwa nicht mehr?«
»Doch, ich glaube schon«, antwortete Vogler einsilbig. Als sich Oppenheimer wieder gesetzt hatte, fragte er in vertraulichem Ton: »Was ich nicht verstehe, in Ihrem Dossier steht, dass Sie eine Tochter haben. Doch meinen Informationen zufolge sind nur Sie und Ihre Frau im Judenhaus gemeldet.«
Für einige Sekunden war Oppenheimer still, dann antwortete er: »Es war so – unnötig. Sie bekam die Masern wie andere Kinder auch. Wir haben uns keine großen Sorgen gemacht. Doch ihr Körper war geschwächt, und dann bekam sie noch eine Lungenentzündung. Es war einfach zu viel für sie. Sie ist gestorben, sechs Jahre alt. Diesen April wäre sie volljährig geworden.«
»Wie ist es, wenn das eigene Kind stirbt?«, wollte Vogler wissen. Oppenheimer konnte nicht sagen, ob er in den Augen des Hauptsturmführers Mitgefühl oder Neugierde sah.
»Zuerst denkt man, das
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