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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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nicht verhindern, den Stummel zu betrachten, der einstmals der Oberarm seines Kollegen gewesen war.
    »Was ist mit dem Arm?«, fragte Oppenheimer schließlich.
    »Habe ich an der Ostfront gelassen.«
    Oppenheimer nickte nachdenklich. »Versteh schon. Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht möchtest.«
    Einige Sekunden saßen sie stumm nebeneinander. Doch Billhardt schien den Drang zu verspüren, jemandem seine Geschichte anzuvertrauen. »Du bist der Einzige, dem ich es erzählen würde. Ich glaube, du kannst mich verstehen. Die anderen Kollegen – ich weiß ja nicht mal mehr, wem ich vertrauen kann. Und Dorothee möchte ich damit nicht belasten.«
    Oppenheimer erinnerte sich gut an Billhardts Frau. »Wie geht es ihr?«
    »Hat abgenommen. Gibt ja nichts Vernünftiges mehr zu essen. Sie wohnt jetzt bei ihrer Schwester. Die hat ’nen Bauernhof. Das ist besser so, auf jeden Fall sicherer als hier in Berlin. Ich sehe sie ein Mal im Monat. Ich habe ihr noch nicht einmal erzählen können, was in Polen alles geschehen ist.« Billhardt verstummte. Sein Gesicht wurde fahl. Ein unsichtbares Gewicht schien plötzlich auf ihm zu lasten. Verächtlich verzog er seinen Mund. »Ich habe getötet. Fürs Vaterland, haben sie gesagt. Wird die Bedrohung des Vaterlandes wirklich geringer, wenn man ein Kind tötet?«
    Bei dieser Vorstellung bekam Oppenheimer eine Gänsehaut. Er starrte seinen alten Kollegen an, doch dieser bemerkte es nicht.
    Ungläubig fragte Oppenheimer: »Sie haben euch Kinder töten lassen?«
    »Ist vorgekommen. Kinder, Greise, Männer, Frauen, ohne Unterschied. Alles egal, waren ja Untermenschen. Meistens … meistens haben wir sie auf Waldlichtungen erschossen. Außerhalb der Städte. Da wurden große Gruben ausgehoben. Normalerweise ließen wir das ein Dutzend Männer machen. Nachdem wir ihnen die Schaufeln abgenommen hatten, wurden sie gleich erschossen und hineingeworfen. Dann kamen die übrigen Juden aus der Stadt. Schon aus der Ferne konnte man hören, wenn sie ihre Lieder sangen. Aber die Leute verstummten immer recht schnell, wenn sie die Grube mit den Leichen sahen. Da kapierten sie, was vorging. Uns wurde gesagt, sie würden die Partisanen unterstützen. Doch unter ihnen waren nicht nur Juden aus Polen. Einmal habe ich sogar jemanden aus Berlin gesehen. Hat nicht weit von mir entfernt gewohnt. Was hat der mit polnischen Partisanen am Hut, dachte ich mir. Ich versuchte, ihn nicht anzusehen. Doch gleichzeitig habe ich bemerkt, wie er mich anstarrte. Er hatte mich wiedererkannt. Als der Schießbefehl kam, habe ich ihn als Ersten erschossen. Ich konnte es einfach nicht ertragen, wie er mich anschaute.« Billhardt wirkte verzweifelt. »Verstehst du das? Ich erschoss einen Menschen, weil ich seinen Blick nicht ertragen konnte. An der Front habe ich nicht darüber nachgedacht, doch seit ich hier bin …«
    Oppenheimer versuchte, seinen Gefühlsaufruhr mit einem Schluck Wein hinunterzuspülen, doch es half nicht. Billhardt war verstummt, wartete vermutlich darauf, dass Oppenheimer etwas sagte.
    »Wenn es ein Befehl war, dann konntest du dich wohl nicht dagegen wehren, oder?«
    »Ein paar Kameraden wollten nicht mitmachen. Sie wurden zur Minna gemacht, aber mehr ist ihnen nicht geschehen. Irgendwie … Na ja, ich wollte nicht kneifen. Schließlich waren wir zusammen im Feindesland. Da muss man sich aufeinander verlassen können, sonst ist man geliefert. Ich konnte den anderen doch nicht so einfach die Drecksarbeit überlassen. Ich kann dir nicht sagen, ob es falsch war, was wir da taten. Weißt du, das Merkwürdige ist, wenn man es ein paar Mal gemacht hat, geht das Erschießen ganz leicht. Man muss nur aufpassen, wenn man auf den Kopf schießt. Dann kann der Schädel aufplatzen, und du hast das ganze Zeug auf deiner Uniform oder im Gesicht. Es gab einige richtige Sadisten unter den Männern, denen hat es Spaß gemacht. So einer war ich nicht. Ich hatte keine Freude daran. Nach den Exekutionen haben wir uns immer mit Schnaps volllaufen lassen. Ich weiß nicht, woher der kam. Ich habe das Zeug literweise gekippt, trotzdem war ich nie richtig besoffen. Jedenfalls nicht so besoffen, wie ich gehofft hatte.«
    »Wie bist du da rausgekommen?«, fragte Oppenheimer.
    »Dafür hat mein Arm dran glauben müssen.« Billhardt bewegte zur Demonstration seinen Stummel. »Partisanen haben uns überfallen. Ein Hinterhalt, als wir durch einen Wald marschierten. Kamen mit Granaten. Eine hat mich erwischt. Zuerst wollte es

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