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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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der Kommandant nicht glauben. Er dachte, ich hätte den Ostkoller gekriegt und einfach eine scharfe Handgranate festgehalten, um nach Hause zu können. Na ja, vors Kriegsgericht bin ich dann doch nicht gekommen. Hab noch mal Schwein gehabt.«
    Schwermütig atmete Oppenheimer tief durch. Billhardt war mit seinem Bericht am Ende. Nervös blickte er Oppenheimer an, prostete ihm zu und trank sein Glas in einem Zug aus.
    In der darauf folgenden Stille stellte sich Oppenheimer eine unangenehme Frage. Zweifellos war Billhardt zutiefst erschüttert, doch trauerte er wirklich um seine Opfer, oder war es nicht eher Selbstmitleid, das ihm zu schaffen machte? Wahrscheinlich konnte dies nicht einmal Billhardt so genau sagen.

    Am nächsten Tag erschien Vogler mit den Briefen, die er in den letzten Tagen aufgetrieben hatte. Als er Oppenheimer davon berichtete, schäumte er immer noch vor Zorn. Offiziell hatten die Polizeidienststellen die Aufgabe, alle Anzeigen zu bearbeiten und sie an die Gestapo weiterzuleiten. Die Polizei erhielt in der Regel anonyme Schreiben von linientreuen Volksgenossen, die ihre Bekannten wegen Heimtückevergehen denunzierten. Jedoch war die Flut dieser Briefe so groß, dass die Beamten mit der Bearbeitung nicht mehr nachkamen.
    Vogler hatte ordentlich Druck machen müssen, bis sich im Polizeiapparat etwas bewegte. Nachdem unzählige Beamte speziell dazu abkommandiert wurden, die Papierberge zu durchstöbern, hatten sie am Samstag endlich zwei Schreiben des Täters gefunden. Dem Poststempel nach zu urteilen, hatte er diese Briefe unmittelbar nach den Morden an Christina Gerdeler und Julie Dufour an die Polizei geschickt. Vogler hatte zunächst ernsthaft in Erwägung gezogen, Reithermann darum zu bitten, die Verantwortlichen für diese Schlamperei an die Ostfront abkommandieren zu lassen, doch es waren so viele Personen mit der Bearbeitung beschäftigt, dass er ganze Abteilungen hätte versetzen müssen.
    Eigentlich hätten sie sich die Arbeit sparen können, denn verglichen mit dem Brief an die Redaktion von Der Angriff gab es keine nennenswerten Unterschiede. Der Mörder ereiferte sich gegen Dirnen und schwadronierte über die Krankheiten, die sie seiner Meinung nach verbreiteten. Oppenheimers Verdacht, dass der Täter Allmachtsphantasien hatte, verdichtete sich. In den Briefen fanden sich Aufrufe, es ihm gleichzutun. Nach dem Mord an Julie Dufour appellierte er gar an Hitler persönlich, alle Ausländer aus dem Reich zu jagen. Dieser Brief war für Oppenheimer besonders aufschlussreich, denn in ihm bezeichnete der Mörder Fräulein Dufour als französische Nutte. Dies bestätigte die Theorie, dass er die Fremdsprachenkorrespondentin für eine Prostituierte gehalten hatte.
    Nachdem Oppenheimer am Freitag erfolglos versucht hatte, Fräulein Gerdelers Zimmergenossin zu sprechen, war er noch in Horst-Wessel-Stadt gewesen, um Reithermanns Nachbarn zu befragen. Er hatte sich davon überzeugen können, dass der halbe Stadtteil hinter vorgehaltener Hand über Reithermann und die Französin tuschelte. Fast jeder der Befragten wusste Bescheid und wartete mit pikanten Details auf. Es war also durchaus denkbar, dass der Täter in diesem Stadtteil wohnte. Doch dann gab es noch die beiden anderen Opfer, die in anderen Stadtteilen lebten. Oppenheimer ging diese Fakten im Wohnzimmer des Zehlendorfer Häuschens mehrere Male durch, was stets damit endete, dass er sich unzufrieden am Kopf kratzte und dann einen weiteren starken Kaffee kochte. Der Mörder kannte seine Opfer und hatte sie zweifelsohne eine gewisse Zeit lang verfolgt. Doch bis auf die Vermutung, dass er die Frauen irgendwo im Südosten der Stadt grausam quälte und dann tötete, ließ sich kein geographischer Schwerpunkt im Stadtgebiet festlegen. Der Täter schien überall und nirgends zu sein.

    »Nee, dit Bild sagt mir nüscht.« Lizzi Ebner musterte die Photographie von Reithermann mit ausdruckslosem Gesicht. »Aber ick kann Ihnen auch nich sagen, dat sie ihn nich kannte. Ihre Kavaliere hat se mir nie vorjestellt.«
    Das plärrende Radio im Hintergrund irritierte Oppenheimer. »Hat sie vielleicht mal seinen Namen erwähnt? Reithermann, Günther Reithermann, Gruppenführer bei der SS.«
    »Also ick weeß, dasse ein paar SS-Heinis jekannt hat. Aber keene Ahnung, wie die hießen.«
    Mit dieser Antwort gab Oppenheimer die Hoffnung auf, Reithermann mit Fräulein Gerdeler in Verbindung bringen zu können. Ihre Zimmergenossin hatte die Männer, mit denen sie sich

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