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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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stand und sein Schwert in die Scheide steckte. Oppenheimer hoffte, dass es nun bald zu Ende war und Mars wieder arbeitslos würde. Doch er wusste, dass das Sterben noch nicht vorbei war. An der Westfront hatte es gerade erst begonnen. Eigentlich war es zu früh, um zu jubeln.
    Dennoch ging Oppenheimer beschwingt in Richtung des Großen Sterns. Sein Verstand riet ihm zur Vorsicht, doch seine Beine schienen einen eigenen Willen zu haben. Als er die breite Straße entlanglief und die Tarnnetze passierte, blickte er auf die Fahnenmasten. Sieben Kilometer lang flankierten sie den Weg bis zum ehemaligen Reichskanzlerplatz in Charlottenburg, der seit der Machtergreifung Adolf-Hitler-Platz hieß. Wie oft hatte Hitler diese Strecke beflaggen lassen, um seine Triumphe zu zelebrieren. Abertausende Flaggen pflegten zu solchen Anlässen die Straße zu säumen, jede rote Fahne eine klaffende Wunde im blauen Himmel, dazwischen ein martialischer Karneval: Soldaten, Parteikader, Blumenmädchen zu einem zähfließenden Strom von Menschen vereint, der die Straße zu verstopfen drohte.
    Heute blieben die Fahnenstangen unbeflaggt. Grinsend musste Oppenheimer an ihren Spitznamen denken, der nur hinter vorgehaltener Hand genannt wurde: Bonzengalgen in spe. Er hoffte, dass sie bald ihrer Aufgabe nachkommen würden.

    Der Himmel hatte sich wieder zugezogen, doch hin und wieder durchbrach der Vollmond die Wolken und tauchte den Platz zu seiner Linken in ein fahles Licht. Die Giesebrechtstraße war so schmal, dass die paar Bäume, die neben dem Gehweg gepflanzt waren, ausreichend Schatten boten, um unbeobachtet vor der Pension Schmidt Wache halten zu können.
    Er wusste jetzt, dass sie ihn nicht ernst nahmen. Sein Schreiben an die Redaktion des Angriff war immer noch nicht erschienen. Für ihn war der Gedanke unfassbar, dass Goebbels und dem Führer nicht bewusst sein sollte, welche Verderbnis zwischen den geöffneten Beinen der geschminkten Weiber lauerte, und dass sie mit dieser Ignoranz sogar riskierten, der arischen Rasse einen großen Schaden zuzufügen. Dabei fand er, dass die Gründe, die ihn antrieben, für sich selbst sprachen. Er hatte sie in seinen Briefen erwähnt und sich bemüht, klar darzulegen, was dem Rest des Volkes bislang verborgen geblieben war.
    Nach der Tötung der letzten Dirne hatte er sich auf die Lauer gelegt. Er hatte beobachtet, wie die Leiche in den frühen Morgenstunden entdeckt wurde und wie schon kurz darauf Männer in Uniform erschienen. Das konnte nur bedeuten, dass die SS mittlerweile auf ihn aufmerksam geworden war. Genau dies hatte er bezweckt. Doch anscheinend sorgte jemand dafür, dass seine Taten vor dem Führer und seinen Getreuen geheim gehalten wurden. Es gab nur einen Ausweg: Er musste ein Zeichen setzen, musste ihnen klarmachen, dass er nicht gegen sie arbeitete.
    In den letzten Tagen hatte er sich einen Plan ausgedacht, auf den er stolz war. Es würde sein Meisterwerk werden. Diese Aktion würde nicht zu übersehen sein. Jeder würde verstehen, was er damit ausdrücken wollte. Obwohl das Risiko groß war, glaubte er, es einfach wagen zu müssen. Doch zunächst brauchte er noch das passende Opfer.
    Er konnte sich im Dunkeln gut orientieren, benötigte nicht viel Licht, um seine Umgebung zu observieren. In all den Stunden, die er bereits hier in der Giesebrechtstraße gestanden hatte, war er von keinem der gelegentlich vorbeikommenden Passanten wahrgenommen worden. Er wusste, dass er hier sein Opfer finden würde, denn die Pension Schmidt war für ihn der schändlichste Ort in ganz Berlin. Ihm direkt gegenüber trieben die bemalten Huren ihr Unwesen, verbreiteten ihre Krankheiten. Die höchsten Kreise der Gesellschaft verkehrten in dem Bordell. Er hatte schon so viele von ihnen hier gesehen. Soldaten und SS-Männer jeglichen Ranges, bekannte Schauspieler, nicht zu vergessen die stinkreichen Geldsäcke, die aus den schweren Limousinen stiegen. Die Nutten in Kitty Schmidts Salon waren dabei, die führenden Köpfe der Nation zu vergiften. Er fürchtete, dass sie damit schon weit gekommen waren.
    Er hörte Schritte direkt aus der Richtung des Ku’damms. Gestalten näherten sich. Ein Mann mit einer Frau. Sie waren mit sich selbst beschäftigt, flanierten die Straße entlang. Die beiden ahnten nicht mal, dass er hier unter dem Baum stand und sie im Blick behielt.
    Als sie auf ihn zuschlenderten, zwang er sich, still zu stehen. Doch sein Körper tat nicht immer, was er tun sollte. Manchmal schien er einen

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