Germania: Roman (German Edition)
war, dass sie auf der Stelle traten.
Billhardt öffnete die Tür, nachdem Oppenheimer bei ihm geklingelt hatte. »Bin auch eben erst vom Dienst gekommen«, sagte er.
»Was machst du denn?«, erkundigte sich Oppenheimer.
»Du wirst es nie erraten: Ich komme gerade vom Bahnhof – dienstlich. Muss illegale Obstkäufer aufstöbern und ihnen die Ware abnehmen.«
Oppenheimer blickte auf den prall gefüllten Lebensmittelkorb, der in der Diele stand. Sicher war er von den Händlern bestochen worden. »Hm, verstehe«, murmelte er nur. »Was hältst du von der Invasion? Denkst du, der Atlantikwall wird halten?«
Billhardt zeigte keine Reaktion. Er führte Oppenheimer ins Wohnzimmer.
Noch bevor sie sich hingesetzt hatten, kündigte Billhardt an, dass er die Polizeiakten tatsächlich gefunden hatte. Genüsslich kostete er die Spannung aus und schenkte Oppenheimer zunächst ein Glas Wein ein.
»Also, ich hatte mich nicht getäuscht. Das Ganze geschah im September 1932. Damals gab es viele solcher Fälle. Weltanschauliche Gründe und so weiter. Ein Gewerkschafter, der auch Mitglied der KPD war, wurde in Moabit von ein paar SA-Leuten in seiner Wohnung überfallen. Sie haben ihn krankenhausreif geprügelt, doch er kam mit einigen Knochenbrüchen davon, weil ihm die Nachbarn zu Hilfe geeilt sind.« Billhardt machte eine Kunstpause. »Seine Frau hatte nicht so viel Glück.«
»Lass mich raten«, sagte Oppenheimer. »Sie wurde mit einem Messer verletzt?«
Billhardt nickte. »Exakt. Einer der SA-Männer hatte sich mit seinem Messer auf die Frau des Gewerkschafters gestürzt. Zumindest hat ihr Mann das später ausgesagt. Der Täter stach blindwütig auf die Frau ein und ließ auch nicht von ihr ab, als die Nachbarn erschienen, um dem Spuk ein Ende zu machen. Er muss ein ziemliches Blutbad angerichtet haben. Die Zeugen berichteten, dass dieser SA-Mann in eine Art Raserei verfallen war. Er bemerkte überhaupt nicht mehr, was um ihn herum vorging. Erst drei starke Männer konnten ihn schließlich zur Raison bringen. Er wurde zum Tod verurteilt.«
»Und was war an diesem Vorfall so besonders, dass du dich noch daran erinnern konntest?«
»Dieser Mann von der SA« – Billhardt zögerte kurz – »er hatte mit seinem Messer nur in den Unterleib gestochen. Die Verletzungen waren zu schwer, um sie noch retten zu können.«
Aufmerksam hörte Oppenheimer zu. »Interessant. Das könnte tatsächlich auf unseren Täter passen. Aber du hast gesagt, dass dieser SA-Mann zum Tode verurteilt wurde?«
Billhardts Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. »Wie man’s nimmt. Er wurde wieder auf freien Fuß gesetzt.«
Um ein Haar hätte sich Oppenheimer an seinem Wein verschluckt. »Wie bitte?«, fragte er ungläubig.
»Er hat nur ein gutes halbes Jahr im Knast eingesessen. Hat richtig Schwein gehabt. Während er auf seine Hinrichtung wartete, gab es eine Amnestie. Das war im März 1933, gleich nach der Machtergreifung. Diese Amnestie galt für alle Straftaten, die im Zusammenhang mit der nationalen Erhebung geschehen waren. Hast du gehört? Alle. Sofort als Hitler an die Macht kam, sorgte er dafür, dass seine alten Krieger offiziell reingewaschen wurden. Egal, was sie auf dem Kerbholz hatten. Er sorgte dafür, dass ihre Verurteilungen nicht vollstreckt wurden. Sie kamen alle wieder aus dem Knast heraus. Auch unser Mörder wurde damals aus der Haft entlassen.«
Oppenheimer war für einige Augenblicke sprachlos. »Verfluchte Scheiße«, sagte er schließlich. »Sie haben ihn gehabt und dann wieder laufenlassen.«
»Vorsicht, versteif dich nicht darauf. Ich weiß, was du denkst. Aber du hast noch keinen Beweis, dass er der Täter ist, hinter dem du jetzt her bist. In seiner Akte gibt es dafür sonst keine Hinweise. Später ist er nicht mehr in Erscheinung getreten. Keine weitere Straftat. Offensichtlich hat er danach das Leben eines unbescholtenen Bürgers geführt.«
»Ich brauche Einsicht in die Akte.«
Billhardt zuckte zurück. »Du weißt, dass das unmöglich ist. Du bist kein Polizeibeamter mehr.«
»Dann gib mir eine Abschrift, irgendetwas. Wenigstens den Namen kannst du mir verraten.«
Billhardt schüttelte den Kopf. »Nein, das geht nicht. Ich habe dir schon mehr gesagt, als ich dürfte. Wenn es herauskommt, dann bin ich dran. Du weißt, ich bin kein Kameradenschwein, aber ich muss auf meine eigene Sicherheit achten. Ich habe dir doch gesagt, zu welchem Zeitpunkt das alles geschehen ist. Das wird reichen. Der
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