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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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eigenen Willen zu haben. Sicher waren die Huren schuld daran. Sie hatten ihn infiziert. Ihr schlechtes Blut war tief in ihn eingedrungen. Sie wollten die Kontrolle über seinen Körper erringen, doch er würde ihn nicht kampflos aufgeben. Er musste seine ganze Konzentration aufbringen, um völlig bewegungslos stehen zu bleiben. Er umfasste den Baum und richtete seine Konzentration auf die rauhe Borke unter seinen Händen. Mit aller Macht stellte er sich vor, ein Teil des Baumes zu werden.
    Doch als er die Augen wieder öffnete, zuckte er zusammen. Das Pärchen hatte sich nicht entfernt. Sie standen jetzt direkt neben ihm. Er konnte fast ihren Atem spüren. Wenige Zentimeter von ihm entfernt hatte der Mann seine Begleiterin gegen den Baum gelehnt. Sie umarmten sich. Bei diesem Anblick wagte er kaum, Luft zu holen. Er nahm wahr, wie sich die beiden küssten, hörte das leise Rascheln der Kleidung und erahnte, wie sich ein Knie des Mannes zwischen die Beine der Frau schob. Das Weib seufzte. In jenem Moment stieg wieder dieses Gefühl in ihm hoch. Langsam, ganz langsam griff er in seine Jackentasche.
    Es war gut, das Messer in der Hand zu halten. Er stellte sich die gespreizten Schenkel der Frau vor und dazwischen seine blitzende Klinge, kurz vor dem Moment, in dem der Stahl in die Haut eindringen würde. Unwillkürlich dachte er an das Blut, vor dem er sich hüten musste, das schlechte Blut der Huren, denn in seiner Vorstellung gab es kaum einen Zweifel, dass auch dieses schamlose Luder zu ihnen gehörte. Er trug einen Regenmantel. In seiner Manteltasche befanden sich Handschuhe. Wenn er sie überstreifte, war er geschützt. Also spielte er mit dem Gedanken, die Frau neben sich zu töten, ihren schweren Atem endgültig zum Verstummen zu bringen, jetzt auf der Stelle. Ein paar Messerstiche in ihre Seite, nur um in Übung zu bleiben.
    Doch er zögerte. Diese Dirne hatte jemanden bei sich. Das würde ein Problem sein. Ihr Begleiter würde die Attacke sicher falsch interpretieren, vielleicht sogar denken, dass sie ihm galt.
    Ein Auto bog in die Straße ein. Für einige Sekundenbruchteile blendete ihn gleißendes Licht. Dann nahm er nur noch einen roten Schleier wahr, der sich über die Schwärze der Nacht gelegt hatte. Er brauchte einen Moment, bis er seine Umgebung wieder klar erkennen konnte. Das Liebespaar war fort. In der Nähe hörte er schnelle Schritte. Eine Bewegung in der Dunkelheit. Die Frau hatte sich kurz zu ihm umgeblickt. Zweifellos hatten sie ihn im Scheinwerferlicht entdeckt.
    Am gegenüberliegenden Straßenrand hatte das Fahrzeug mittlerweile mit laufendem Motor angehalten. Wegen der Verdunklungspflicht waren die Scheinwerfer nicht mehr als zwei schmale Schlitze in der Dunkelheit. Es war merkwürdig. Vorhin hätte er schwören können, dass sie aufgeblendet waren.
    Eine Person stieg aus, vermutlich ein Soldat. Er trug eine Uniform, doch welche es war, ließ sich nicht erkennen. Schwankend lehnte er sich gegen die Beifahrertür. Der Uniformträger hatte wohl schon einiges intus. Umständlich reichte er dem Fahrer durch das geöffnete Fenster einen Geldschein.
    »Stimmt so«, sagte er.
    Der Taxifahrer erwiderte: »’tschuldigung, aber haben Se sich nich vertan? Dit hier is wirklich zu viel.«
    Der Uniformierte winkte lässig ab. »Behalte den Rest«, befahl er lallend. »Jetzt, wo die Amerikaner gelandet sind, macht es auch nichts mehr. Gib’s noch schnell aus.« Dann blickte er sich suchend um. »Wo geht’s denn hier zum Ficken?«
    »Da hinten. Unterste Klingel.« Der Taxifahrer zeigte auf die Haustür, grüßte dankend und fuhr davon. Der Soldat schaute dem Fahrzeug hinterher, torkelte mitten auf die Straße und rief dann zum Abschied aus voller Kehle: »Genieße den Krieg, Kamerad! Der Friede wird fürchterlich!«

17
    Samstag, 10. Juni 1944 – Montag, 12. Juni 1944
    D er Regen schien nicht mehr aufhören zu wollen. Die Sommertage der letzten Woche waren in Oppenheimers Gedanken nur noch eine ferne Erinnerung. Er hasste es, zuzugeben, dass seine Laune von so etwas Trivialem wie dem Wetter abhängig war. Regen konnte ihn schnell melancholisch machen, insbesondere, wenn es mehrere Tage lang unentwegt schüttete. Dass es in der Nacht wieder einen Alarm wegen eines Moskitoangriffs gegeben hatte, hellte seine Stimmung auch nicht gerade auf. Wenigstens war dies ein Zeichen dafür, dass die deutsche Luftwaffe den Angreifern nicht mehr viel entgegenzusetzen hatte. Früher hatte es bei Vollmond selten

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