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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kameraden die Abgesandten ausgewählt, die am folgenden Tage zur Direktion entboten werden sollten. Als am Abend Frau Maheu erfuhr, daß ihr Mann mit dazu gehöre, war sie trostlos und fragte ihn, ob er wolle, daß man sie auf die Straße werfe. Maheu selbst hatte nur mit Widerstreben die Sendung angenommen. In dem Augenblicke, wo es galt zu handeln, verfielen beide -- trotzdem sie ihr Elend als ein Unrecht empfanden -- in die Ergebung ihres Stammes, zitternd vor dem morgigen Tage und doch lieber sich ins Unvermeidliche fügend. In Fragen der Lebensführung überließ er sich sonst seiner Frau, die stets guten Rat wußte. Aber diesmal geriet er in Zorn, um so mehr als er im stillen ihre Besorgnisse teilte.
    »Laß mich in Frieden«, sagte er, als er zu Bett ging und ihr den Rücken zuwandte. Wäre es anständig, seine Kameraden im Stiche zu lassen? Ich tue meine Pflicht.
    Dann ging auch sie zu Bette. Keines von beiden sprach. Nach langem Stillschweigen antwortete sie:
    »Du hast recht, gehe hin. Aber, mein armer Alter, wir sind verloren.«
    Um zwölf Uhr frühstückte man; die Zusammenkunft war für ein Uhr bei Rasseneur bestimmt, von wo man zu Herrn Hennebeau gehen sollte. Man aß Kartoffeln; weil nur ein Stückchen Butter da war, rührte keiner daran. Am Abend wollte man Butterbrot essen.
    »Wir rechnen auf dich als Sprecher«, sagte Etienne plötzlich zu Maheu.
    Dieser war ganz betroffen, als er das hörte.
    »O nein, das ist zuviel!« rief Frau Maheu. »Meinetwegen soll er mitgehen, aber ich verbiete ihm, den Führer zu machen. Warum lieber er als ein anderer?«
    Etienne erklärte die Sache mit seiner eifervollen Beredsamkeit. Maheu sei der beste Arbeiter der Grube, der beliebteste, geachteteste, der für den vernünftigsten galt. Die Beschwerden der Grubenarbeiter würden in seinem Munde ein entscheidendes Gewicht haben. Anfänglich hieß es, er, Etienne, solle sprechen; aber er war noch zu kurze Zeit in Montsou. Man werde einem Alten aus der Gegend eher Gehör schenken. Kurz, die Kameraden vertrauten ihre Interessen dem Würdigsten an; er dürfe nicht ablehnen, es sei feig.
    Frau Maheu machte eine verzweifelte Gebärde.
    »Geh, Mann, laß dich totmachen für die anderen; mir kann es schließlich auch recht sein.«
    »Aber ich werde nicht sprechen können«, stammelte Maheu. »Ich werde Dummheiten reden.«
    Etienne, der sehr froh war, ihn endlich bestimmt zu haben, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:
    »Du wirst sagen, was du fühlst; so wird es gut sein.«
    Der Vater Bonnemort, dessen Beine jetzt weniger geschwollen waren, hörte zu, während er aß, und nickte nur mit dem Kopfe. Stille trat ein. Wenn man Kartoffeln aß, stopften sich die Kinder und verhielten sich artig. Nachdem er einen tüchtigen Bissen hinuntergeschluckt hatte, murmelte der Alte:
    »Mag man reden, soviel man will, es ist gerade so gut, wie wenn man nichts gesagt hätte. Ich habe solche Geschichten schon gesehen! Vor vierzig Jahren warf man uns bei der Direktion hinaus, und es gab noch Säbelhiebe dazu. Heute wird man euch vielleicht empfangen, aber man wird euch so wenig antworten wie diese Mauer ... Mein Gott! Sie haben das Geld, sie lachen sich ins Fäustchen.«
    Es ward wieder still. Etienne und Maheu erhoben sich und ließen die Familie in düsterer Stimmung vor den leeren Tellern zurück. Sie holten Levaque und Pierron und begaben sich mit diesen zu Rasseneur, wo die Abgesandten der benachbarten Dörfer in kleinen Gruppen eintrafen. Als die zwanzig Mitglieder der Abordnung beisammen waren, stellte man die Bedingungen fest, welche denen der Gesellschaft gegenüber geltend gemacht werden sollten. Dann brach man auf nach Montsou. Ein schneidender Nordost fegte über die Heerstraße. Es schlug zwei Uhr, als man ankam.
    Zuerst hieß der Diener sie warten und schloß ihnen die Tür vor der Nase zu; als er wiederkam, führte er sie in den Salon, dessen Vorhänge er öffnete. Ein zartes, durch die Spitzen gedämpftes Licht drang durch die Fenster herein. Als die Grubenarbeiter allein geblieben waren, wagten sie nicht, sich zu setzen; verlegen standen sie da, alle fein säuberlich mit ihren Tuchwämsern bekleidet, frisch rasiert, mit ihren gelben Haaren und Schnurrbärten. Sie drehten ihre Mützen zwischen ihren Fingern und warfen schiefe Blicke auf das Mobiliar, das ein Wirrsal aller Stile war, wie es der Geschmack für das Altertümliche in die Mode gebracht hat: Sessel im Stile Heinrichs II., Stühle im Geschmacks Ludwigs XV., ein

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