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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Direktor, der in das Lesen seiner Depeschen versunken war, so daß er seine Gäste völlig vergaß. Hinter diesen dünnen Blättchen ahnte er Paris, die Weisungen der Verwaltungsräte, die über den Streik entscheiden sollten. Er konnte seine Unruhe nicht meistern und fragte plötzlich:
    »Was werden Sie machen?«
    Herr Hennebeau schrak zusammen und antwortete ausweichend:
    »Wir werden sehen.«
    »Natürlich, Sie stehen fest auf den Beinen, Sie können warten«, sagte Deneulin gleichsam laut denkend. »Ich aber werde die Haut dabei lassen, wenn der Streik sich auf Vandame ausdehnt. Was nützt es mir, daß ich die Jean-Bart-Grube neu eingerichtet habe? Mit dieser einzigen Grube kann ich nur bestehen, wenn der Betrieb unausgesetzt fortgeführt wird. Ich sehe schlimme Tage kommen!«
    Dieses unwillkürliche Geständnis schien die Aufmerksamkeit des Herrn Hennebeau zu erregen. Er hörte ihm zu, und ein Plan keimte in ihm. Wenn der Streik eine böse Wendung nehme, warum sollte er diesen Umstand nicht ausnützen, den Nachbar dabei zugrunde gehen lassen und dann sein Unternehmen für einen Pappenstiel erwerben? Dies sei das sicherste Mittel, die Gunst der Verwaltungsräte wieder zu gewinnen, die schon seit Jahren nach Vandame Verlangen trugen.
    »Wenn Jean-Bart Ihnen eine solche Last ist, treten Sie die Grube uns ab«, sagte er lachend.
    Doch Deneulin hatte seine Klagen schon bereut und rief:
    »Niemals!«
    Seine Heftigkeit, belustigte die Gesellschaft; man vergaß den Streik in dem Augenblicke, als der Nachtisch erschien. Ein Apfelauflauf wurde mit Lobsprüchen überhäuft; auch die Ananas fand man köstlich, und die Damen besprachen ein Rezept zur Zubereitung dieser Frucht. Das feine Obst, Weintrauben und Birnen, vervollständigte die frohe Laune, in der das reiche Mahl beendet wurde. Alle redeten zugleich in gerührter Stimmung, wahrend der Diener Rheinwein einschenkte anstatt des Champagners, den man schon gewöhnlich fand.
    Der Plan einer Heirat zwischen Paul und Cäcilie wurde in der angenehmen Stimmung des Nachtisches bedeutend gefördert. Seine Tante hatte ihm so dringende Blicke zugeworfen, daß der jurige Mann sich liebenswürdig zeigte und mit seiner zutunlichen Art die Grégoire wieder gewann, die er vorhin mit seinen Geschichten von der Plünderung erschreckt hatte. Angesichts des engen Einverständnisses zwischen seiner Frau und seinem Neffen fühlte Herr Hennebeau seinen abscheulichen Verdacht wieder erwachen, gleichsam als habe er in den ausgetauschten Blicken eine Berührung entdeckt. Doch der Gedanke an die Heirat, die hier vor seinen Augen betrieben wurde, beruhigte ihn wieder.
    Hippolyte brachte eben den Kaffee, als eine Kammerfrau sehr erschreckt hereinlief und meldete:
    »Gnädiger Herr, sie sind da!«
    Es waren die Abgesandten. Man hörte Türen zuschlagen und hatte das Gefühl, daß ein Hauch des Schreckens durch die benachbarten Räume fahre.
    »Führen Sie sie in den Salon«, sagte Herr Hennebeau.
    Die Gäste an der Tafel hatten einander mit einem Beben der Unruhe angeblickt. Stillschweigen war eingetreten. Dann wollten sie ihre Scherze wieder aufnehmen; man steckte den Rest des Zuckers in die Tasche und sprach davon, die Gedecke zu verbergen. Allein der Direktor blieb ernst, und das Lachen verstummte; die Stimmen wurden zu einem Flüstern gedämpft, während im Salon die schweren Tritte der Abgesandten den Teppich zerknitterten.
    Frau Hennebeau sagte ihrem Gatten im Flüstertone:
    »Ich hoffe, du wirst deinen Kaffee trinken.«
    »Gewiß«, antwortete er; »sie sollen warten!«
    Er war nervös; er lauschte den von außen kommenden Geräuschen, obgleich es den Anschein hatte, als beschäftige er sich nur mit seiner Kaffeeschale.
    Paul und Cäcilie hatten sich erhoben; er ließ sie durch das Schlüsselloch schauen. Sie lachten und sprachen leise miteinander.
    »Sehen Sie sie?« »Ja ... Einen Großen und zwei Kleine hinter ihm.«
    »Sie sehen abscheulich aus, wie?«
    »Nein, ganz artig.«
    Plötzlich verließ Herr Hennebeau seinen Sessel, indem er erklärte, der Kaffee sei zu heiß, und er werde ihn später trinken. Als er hinausging, legte er einen Finger an den Mund, wie um der Gesellschaft Vorsicht zu empfehlen. Alle hatten sich wieder gesetzt und saßen stumm an der Tafel, wagten sich nicht zu rühren, horchten mit gespitzten Ohren, unangenehm berührt durch die groben Stimmen dieser Männer.
     

Zweites Kapitel
    In einer bei Rasseneur abgehaltenen Versammlung hatten gestern Etienne und einige

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