Germinal
Rebhühner herum, während die Kammerfrau Chambertin eingoß.
»In Indien ist eine Hungersnot ausgebrochen«, fuhr Deneulin halblaut fort, als spreche er mit sich selbst. »Amerika hat aufgehört, Schmiede- und Gußeisen zu beziehen, und dadurch unseren Hochöfen einen harten Schlag versetzt. Ein Stoß aus der Ferne genügt, um die Welt zu erschüttern... Und das Kaiserreich war so stolz auf die fieberhafte Entwickelung der Industrie!«
Er machte sich an seinen Rebhuhnflügel. Dann setzte er mit lauterer Stimme hinzu:
»Das Schlimmste ist, daß man, um die Herstellungskosten zu vermindern, die Produktion wird vermehren müssen: sonst müßten auch die Arbeitslöhne herabgemindert werden, und der Arbeiter würde recht haben mit seiner Behauptung, daß er das Bad ausgieße.«
Dieses freimütige Geständnis gab Anlaß zu einer lebhaften Erörterung. Die Damen fanden an diesem Gespräch wenig Vergnügen. Übrigens war jeder mit seinem Teller beschäftigt, um den ersten Hunger zu befriedigen. Jetzt kam der Diener zurück; er schien etwas sagen zu wollen, zögerte jedoch.
»Was gibt es?« fragte Herr Hennebeau. »Sind Depeschen gekommen, so geben Sie sie her. Ich erwarte Antworten.«
»Nein, gnädiger Herr, Herr Dansaert ist im Flur; aber er fürchtet zu stören.«
Der Direktor entschuldigte sich und ließ den Oberaufseher eintreten. Dieser hielt sich einige Schritte vom Tische, während alle Gäste sich umwandten, ihn zu betrachten, wie er riesengroß dastand und ganz außer Atem war von den Nachrichten, die er brachte. Die Dörfer blieben ruhig, meldete er, aber es sei entschieden, es werde eine Abordnung kommen. Sie werde vielleicht schon in wenigen Minuten da sein.
»Es ist gut, ich danke«, sagte Herr Hennebeau. »Ich will jeden Morgen und jeden Abend Bericht haben; hören Sie?«
Als Dansaert fort war, fingen die Scherze wieder an. Man warf sich auf den russischen Salat mit der Bemerkung, es sei keine Sekunde zu verlieren. Die Heiterkeit erreichte ihren Höhepunkt, als Negrel Brot verlangte und die Kammerfrau ihm mit einem so leisen und erschrockenen
»Ja, mein Herr!« antwortete, als habe sie eine Bande hinter sich, bereit zu Mord und Schändung.
»Sie können ganz frei reden,« sagte Frau Hennebeau; »sie sind noch nicht da.«
Der Direktor, dem man ein ganzes Bündel Briefe und Depeschen brachte, wollte einen der Briefe laut lesen. Es war ein Brief Pierrons, in dem dieser in respektvollen Ausdrücken bekannt gab, daß er genötigt sei, mit den Kameraden zu streiken, wenn er nicht mißhandelt werden wolle: er fügte hinzu, daß er es nicht ablehnen konnte, an der Abordnung teilzunehmen, obgleich er diesen Schritt tadelte.
»Das ist die Freiheit der Arbeit!« rief Herr Hennebeau.
Man kam wieder auf den Streik zu sprechen und befragte ihn um seine Meinung.
»Ach,« erwiderte er, »wir haben ganz andere Arbeitsausstände gesehen! ... Man wird ein, zwei Wochen faulenzen wie das letztemal. Sie wollen in den Wirtshäusern herumliegen. Wenn sie gar zu großen Hunger haben, kehren sie zur Arbeit zurück.«
Deneulin schüttelte den Kopf.
»Ich bin nicht so ruhig«, sagte er. »Diesmal scheinen sie besser organisiert. Haben sie nicht eine Unterstützungskasse?«
»Ja, mit kaum dreitausend Franken darin. Wohin wollen sie damit? Ich habe einen gewissen Etienne Lantier im Verdacht, daß er ihr Führer ist. Es ist ein guter Arbeiter, und es wäre mir unangenehm, müßte ich ihm sein Arbeitsbuch zurückstellen wie seinerzeit dem famosen Rasseneur, der fortfährt, mit seinen Gedanken und seinem Bier die Gegend zu verpesten... Gleichviel, in acht Tagen fährt die Hälfte der Leute an, und in vierzehn Tagen sind alle zehntausend Arbeiter wieder in den Gruben.«
Er war überzeugt davon. Seine einzige Sorge kam von der Möglichkeit, daß er in Ungnade fallen könne, wenn die Gesellschaft ihn für den Streik verantwortlich machen werde. Er fühlte seit einiger Zeit, daß er weniger in Gunst stehe. Er legte denn auch den mit russischem Salat gefüllten Löffel hin, den er genommen hatte, und las noch einmal die aus Paris empfangenen Depeschen, gleichsam um jedes Wort dieser Antworten zu ergründen. Man entschuldigte ihn; das Mahl glich allmählich einem Soldatenfrühstück, das auf dem Schlachtfelde vor Eröffnung des Feuers eingenommen wird.
Jetzt mengten sich auch die Damen in die Unterhaltung. Frau Grégoire hatte Mitleid mit den armen Leuten, die jetzt Hunger leiden sollten; Cäcilie machte im Geiste schon einen
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