Germinal
einen Mann erkannt. Als er sie verließ, floß sie von Dank über und küßte ihm die Hände.
Etienne schämte sich ein wenig dieses Abenteuers. Man rühmte sich nicht gern, die Mouquette besessen zu haben. Er schwor sich, es nicht wieder zu tun; aber er bewahrte ihr ein freundliches Angedenken; sie war ein wackeres Mädchen.
Als er nach dem Dorfe zurückkehrte, ließen die ernsten Dinge, die er erfuhr, ihn rasch das Abenteuer vergessen. Es lief das Gerücht um, daß die Gesellschaft vielleicht ein Zugeständnis machen werde, wenn die Bevollmächtigten einen neuen Schritt bei dem Direktor versuchen wollten. Einzelne Aufseher hatten dieses Gerücht verbreitet. Die Wahrheit war, daß in diesem Kampfe das Bergwerk mehr litt als die Arbeiter. Von beiden Seiten häufte die Hartnäckigkeit Ruinen: während die Arbeit Hungers starb, ging das Kapital zugrunde. Mit jedem Arbeitsruhetage schwanden hundertausende von Franken. Jede Maschine, die stille steht, ist eine tote Maschine. Das Material und die Arbeitsgeräte verdarben; das festgelegte Kapital schmolz zusammen wie Wasser, das der Sand trinkt. Seitdem der schwache Kohlenvorrat im Werkhofe der Gruben sich erschöpfte, sprach die Kundschaft davon, sich nach Belgien zu wenden; darin lag für die Zukunft eine Drohung. Doch was die Gesellschaft hauptsächlich erschreckte, und was sie sorgfältig verheimlichte, das waren die wachsenden Schäden in den Galerien und Schlägen. Die Aufseher genügten nicht, um die Ausbesserungen zu machen, die Verholzungen barsten allerorten, jede Stunde erfolgte ein Einsturz. Es häuften sich dermaßen die Unfälle, daß Monate währende Ausbesserungen notwendig waren, ehe man daran denken konnte, den Kohlenschlag wieder aufzunehmen. Allerlei Schreckensnachrichten waren schon in Umlauf: zu Crèvecoeur war ein Gang von 300 Metern Länge in einem Stück eingestürzt und verrammelte den Zugang zur Cinq-Paumes-Ader; im Magdalenenschacht zerbröckelte die Maugrétout-Ader und füllte sich mit Wasser. Die Direktion wollte dies nicht gestehen, als zwei Unglücksfälle, die knapp aufeinander folgten, sie nötigten, die Wahrheit zu bekennen. Eines Morgens fand man in der Nähe der Besitzung Piolaine den Boden geborsten oberhalb der Nordgalerie von Miron, die am vorhergehenden Tage eingestürzt war; am nächsten Tage folgte im Voreuxschachte eine Abrutschung, die einen ganzen Winkel des Vorortes erschütterte, so daß zwei Häuser zu versinken drohten.
Etienne und die Bevollmächtigten zögerten, einen Schritt zu tun, bevor sie die Absichten der Verwaltung kannten. Dansaert, den sie befragten, wich der Antwort aus; gewiß, man bedauere das Mißverständnis, man werde alles Mögliche tun, um eine Verständigung herbeizuführen, aber er wußte nichts Bestimmtes zu sagen. Sie beschlossen endlich, sich zu Herrn Hennebeau zu begeben, um das Recht auf ihre Seite zu bringen; denn sie wollten nicht, daß man ihnen später vorwerfe, daß sie der Gesellschaft die Gelegenheit benommen hätten, ihr Unrecht zu bekennen. Allein sie schworen, in keinem Punkte nachzugeben und an allen ihren Bedingungen festzuhalten, welche die einzig gerechten seien.
Die Begegnung fand am Dienstag Morgen statt, an dem Tage, an welchem im Dorfe die äußerste Not eingetreten war. Diese Begegnung war weniger freundschaftlich als die erste. Maheu führte auch diesmal das Wort; er erklärte, die Kameraden hätten sie gesandt, um zu fragen, ob die Herren ihnen nichts Neues zu sagen hätten. Anfänglich spielte Herr Hennebeau den Überraschten; er habe keinerlei Weisung empfangen, sagte er, und die Dinge würden sich auch nicht ändern, solange die Grubenarbeiter in ihrer verdammenswerten Empörung verharrten. Diese herrische Schroffheit brachte die unliebsamste Wirkung hervor in dem Maße, daß, wenn die Bevollmächtigten mit versöhnlichen Absichten gekommen wären, die Art und Weise, wie man sie empfing, genügt hätte, sie zu weiterem Widerstande zu treiben. Im weiteren Verlaufe der Unterredung suchte der Direktor ein Gebiet gegenseitiger Zugeständnisse; die Arbeiter sollten sich dazu verstehen, daß die Verzimmerung besonders gezahlt werde; dagegen würde die Gesellschaft diese Bezahlung um jene zwei Centimes erhöhen, die sie angeblich einstecken wollte. Er fügte hinzu, daß er es übernehme, diesen Vorschlag zu machen, daß noch nichts entschieden sei, daß er hoffe, dieses Zugeständnis in Paris zu erlangen. Doch die Bevollmächtigten lehnten ab und wiederholten ihre Forderungen:
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