Germinal
die Beibehaltung des alten Systems und eine Erhöhung von fünf Centimes für den Karren. Da gestand er, daß er die Vollmacht habe, sogleich zu verhandeln, drang in sie, seinen Vorschlag anzunehmen und sprach von ihren Weibern und Kindern, die Hungers starben. Doch sie sagten nein, immer nein, indem sie zu Boden blickten und die harten Köpfe schüttelten. Man schied in feindseliger Stimmung; Herr Hennebeau schlug heftig die Türen zu. Etienne, Maheu und die anderen gingen fort, mit ihren plumpen Schuhen das Pflaster stampfend in der stummen Wut der Besiegten, die man zum Äußersten treibt.
Gegen zwei Uhr versuchten die Weiber des Dorfes einen Schritt bei Maigrat. Sie hatten nur mehr die eine Hoffnung, diesen Menschen zu erweichen, ihm noch eine Woche Kredit abzuringen. Es war ein Einfall der Maheu, die oft zuviel auf das gute Herz der Menschen zählte. Sie überredete die Brulé und die Levaque, sie zu begleiten; die Pierron entschuldigte sich; sie könne ihren Mann nicht verlassen, dessen Krankheit nicht heilen wolle. Andere Frauen schlossen sich der Gruppe an; es waren ihrer etwa zwanzig. Als die Bürger von Montsou sie ankommen und düster und elend die ganze Breite der Straße einnehmen sahen, schüttelten sie unruhig die Köpfe. Man verschloß die Türen; eine Dame verbarg ihr Silberzeug. Man begegnete ihnen zum ersten Male in dieser Weise; es war ein böses Zeichen. Wenn die Weiber anfingen, sich auf den Heerstraßen herumzutreiben, dann ging alles drunter und drüber. Bei Maigrat gab es eine heftige Szene. Er hatte sie zuerst eingelassen, hatte Späße mit ihnen gemacht und sich gestellt, als glaube er, sie kämen, ihre Schulden zu zahlen; es sei hübsch, daß sie sich verständigt hätten, ihm alle auf einmal sein Geld zu bringen. Doch als die Maheu das Wort nahm, spielte er den Zornigen. Wollten sie die Leute zum besten halten? Weiteren Kredit verlangten sie? Wollten sie ihn denn zum Bettler machen? Nein; nicht eine Kartoffel, nicht ein Brotkrümchen mehr! Er schickte sie zu dem Gewürzkrämer Verdonck, zu den Bäckern Carouble und Smelten, da sie jetzt dort einkauften. Die Weiber hörten ihm mit demütiger Scheu zu, entschuldigten sich, suchten in seinen Augen zu lesen, ob er sich rühren lasse. Er begann wieder Späße zu machen, bot der Brulé seinen Laden an, wenn sie ihn zum Liebhaber nehmen wolle. Alle waren von einer solchen Feigheit ergriffen, daß sie über diesen Witz lachten; die Levaque überbot ihn noch, indem sie sich bereit erklärte. Doch er ward sogleich wieder grob und drängte sie zur Tür; als sie fortfuhren, ihn zu bitten, ward er gegen eine der Frauen ausfallend. Die anderen riefen, er sei eine Schacherseele; die Maheu erhob in rächerischer Entrüstung die Arme und rief den Tod über ihn; ein solcher Mensch verdiene nicht zu essen, schrie sie.
Die Rückkehr nach dem Dorfe war traurig. Als die Männer ihre Frauen mit leeren Händen ankommen sahen, ließen sie die Köpfe hängen. Es war aus; der Tag ging zu Ende, ohne daß sie einen Löffel Suppe hatten. Die anderen Tage zogen in eisiger Finsternis dahin, die kein Hoffnungsstrahl erhellte. Sie hatten es gewollt; niemand sprach davon, sich zu ergeben. Die äußerste Not machte sie noch hartnäckiger; stumm, gleich gehetzten Tieren waren sie entschlossen, lieber in ihren Löchern zu sterben als hervorzukommen. Wer würde gewagt haben, zuerst von Unterwerfung zu reden? Die Kameraden hatten geschworen zusammenzuhalten, und sie würden zusammenhalten, wie sie in der Grube zusammenhielten, wenn einer unter den Trümmern eines Einsturzes lag. So gebührte es sich; sie hatten da unten eine gute Schule, Ergebung zu lernen. Wenn man seit seinem zwölften Lebensjahre gewohnt war, Wasser und Feuer zu schlucken, konnte man sich acht Tage lang den Bauch zusammenschnüren. In ihre Ergebung mengte sich der Stolz von Soldaten, das Selbstbewußtsein von Männern, die sich ihres Gewerbes rühmen und in ihrem täglichen Kampfe mit dem Tode zum Opfermut gestählt waren.
Der Abend war sehr traurig in der Familie Maheu. Alle saßen schweigend rings um das spärliche Feuer, das mit dem letzten Rest von rauchendem Kohlenstaub unterhalten wurde. Nachdem sie eine Handvoll nach der andern von der Wolle der Matratzen verkauft, hatten sie vor zwei Tagen ihre Kuckucksuhr für drei Franken hingegeben, und die Stube schien kahl und tot, seitdem das trauliche Ticktack sie nicht mehr erfüllte. Was noch an Zierrat übrig gebliehen, war eine auf dem Eßschrank
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