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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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des Werkes, die Ausbreitung des Programms, das, von der Besprechung der Löhne ausgehend, jetzt die gesellschaftliche Abrechnung in Angriff nahm, um mit dem Lohnsystem aufzuräumen. Es werde keine Nationalitäten mehr geben, die Arbeiter der ganzen Welt seien in einem gemeinsamen Bedürfnis nach Gerechtigkeit vereinigt, würden die spießbürgerliche Fäulnis hinwegfegen, endlich die freie Gesellschaft begründen, wo jeder, der nicht arbeite, auch nicht ernten werde. Er heulte jetzt, sein Atem ließ das Buntpapier unter der angerauchten Decke erzittern, von welcher der Schall seiner Stimme zurückschlug.
    Die Köpfe der Anwesenden waren in ein unruhiges Wogen geraten. Einige riefen:
    »Ganz recht; wir sind dabei.«
    Er fuhr fort zu reden. Ehe drei Jahre vergingen, werde die ganze Welt erobert sein. Er zählte die eroberten Völker auf; von allen Seiten kamen Beitrittserklärungen. Niemals habe eine neu erstehende Religion so viele Gläubige gefunden. Wenn sie erst einmal die Herren seien, würden sie den Arbeitgebern Gesetze diktieren und allen die Faust an die Gurgel legen.
    »Ja, ja, die Herren werden dann zur Grube anfahren«, hieß es unter den Anwesenden.
    Mit einer Handbewegung forderte er Stille. Er ging jetzt an die Besprechung der Streikfrage. Im Prinzip war er gegen die Streiks, sie waren ein zu langsam wirkendes Mittel, das die Leiden des Arbeiters nur noch vermehrte. Allein in Erwartung eines besseren müsse man sich dazu entschließen, wenn sie unvermeidlich würden, weil sie den Vorteil für sich hätten, das Kapital zu entkräften. In diesem Falle verwies er auf die Internationale wie auf eine Vorsehung der streikenden Arbeiter; er führte Beispiele an: Bei dem Streik der Bronzearbeiter in Paris hätten die Arbeitgeber sofort alles bewilligt, als sie zu ihrem Schrecken hörten, daß die Internationale Hilfsgelder sandte; in London hatte sie die Belegschaft einer ganzen Kohlengrube gerettet, indem sie auf ihre Kosten einen Zug Belgier, welche der Eigentümer der Kohlengrube hatte kommen lassen, nach ihrer Heimat zurücksandte. Bei dem bloßen Beitritt der Arbeiter erzittern die Gesellschaften; die Arbeiter treten in die große Armee der Arbeit ein, entschlossen, einer für den andern eher zu sterben, als Sklaven der kapitalistischen Gesellschaft zu bleiben.
    Stürmisches Beifallsklatschen unterbrach ihn. Er trocknete sich die Stirn mit dem Taschentuche und lehnte das Glas Bier ab, das Maheu ihm zuschob. Als er fortfahren wollte, ward er von neuem Beifall unterbrochen.
    »Es sitzt,« flüsterte er Etienne zu; »sie haben genug. Jetzt rasch die Karten her!«
    Er schlüpfte unter den Tisch und erschien alsbald mit seinem kleinen Kästchen aus schwarzem Holze.
    »Mitbürger!« rief er, das Getümmel überschreiend, »hier sind die Mitgliederkarten. Eure Abgesandten mögen näher treten, ich will ihnen die Karten übergeben, und sie werden sie dann unter euch verteilen. Die Zahlung wird später geregelt.«
    Rasseneur stürzte herbei und legte nochmals Verwahrung ein. Auch Etienne hatte sich erhoben, wie um eine Rede zu halten. Die höchste Verwirrung trat ein. Levaque fuchtelte mit den Händen wie einer, der bereit ist zu raufen. Maheu hatte sich gleichfalls erhoben und sprach, ohne daß man ein Wort seiner Rede hätte verstehen können. In diesem wachsenden Lärm stieg ein Staub von den Dielen auf, der fliegende Staub der ehemaligen Bälle, welcher die Luft mit dem scharfen Geruch der Handlanger und der Schlepperinnen erfüllte.
    Plötzlich ging die kleine Tür auf. Die Witwe Désir füllte sie mit ihrem Bauche und ihrem Busen aus und schrie aus voller Kehle:
    »Schweigt, die Gendarmen sind da!«
    Der Polizeikommissar des Bezirkes kam ein wenig verspätet an, um Protokoll aufzunehmen und die Versammlung aufzulösen. Vier Gendarmen begleiteten ihn. Die Witwe hatte sie fünf Minuten vor der Tür aufgehalten, indem sie auf ihre Fragen ihnen sagte, sie sei hier zu Hause und habe wohl das Recht, Freunde bei sich zu versammeln. Doch man hatte sie beiseite geschoben, und sie war herbeigeeilt, um ihre Kinder zu benachrichtigen.
    »Ihr müßt durch diese Tür fort,« sagte sie; »im Hofe steht ein schmutziger Gendarm. Das tut aber nichts; meine kleine Holzkammer öffnet sich auf das Seitengäßchen. Sputet euch!«
    Schon pochte der Kommissar mit den Fäusten an die Tür, und weil man nicht öffnete, drohte er die Tür einzustoßen. Ein Spion mußte geplaudert haben, denn er schrie, daß die Versammlung ungesetzlich

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