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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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stehende Schachtel von rosa Papier, ein ehemaliges Geschenk von Maheu, das seinem Weibe kostbar war wie ein Juwel. Die zwei guten Sessel, die man noch gehabt, waren weg; der Vater Bonnemort und die Kinder saßen gedrängt auf einer alten, mit schimmeligem Moose bewachsen Bank, die man aus dem Garten hereingeschafft hatte. Die fahle Dämmerung schien die Kälte noch zu steigern.
    »Was tun?« wiederholte Frau Maheu, die neben dem Ofen hockte.
    Etienne betrachtete die an der Wand hängenden Bilder des Kaisers und der Kaiserin. Er hätte sie längst heruntergerissen, wenn die Familie es ihm nicht verwehrt hätte. Die Maheus wollten die Bilder als Zimmerschmuck behalten. Er brummte mit zusammengekniffenen Lippen:
    »Wenn man bedenkt, daß man nicht zwei Sous von diesen Kerlen haben kann, die ruhig zusehen, wie wir verrecken.«
    »Ich sollte vielleicht die Schachtel verkaufen?« sagte die Frau bleich und zögernd.
    Maheu, der mit auf die Brust gesenktem Haupte am Tische saß, richtete sich auf.
    »Nein, ich will nicht«, sagte er.
    Frau Maheu erhob sich mühsam und machte einen Rundgang im Zimmer. War es gottsmöglich, in ein solches Elend zu geraten? Nicht ein Krümchen mehr im Eßschrank, nichts mehr zu verkaufen; kein Auskunftsmittel mehr, wie man sich Brot verschaffen könne. Auch das Feuer drohte zu verlöschen! Sie wurde böse auf Alzire, die sie am Morgen nach dem Hügel gesandt hatte, um dort Kohlenstückchen zu sammeln, und die mit leeren Händen zurückgekehrt war, weil --- wie sie sagte --- die Gesellschaft die Nachlese verboten habe. Was hatte man sich um die Gesellschaft zu kümmern? Bestahl man denn jemanden, wenn man diese verlorenen Kohlenstückchen auflas? Die Kleine war trostlos und erzählte, ein Mann habe ihr mit Schlägen gedroht; dann versprach sie, am folgenden Tage wieder hinzugehen und sich prügeln zu lassen.
    »Wo treibt der Lump Johannes sich wieder herum? frage ich euch«, rief die Mutter. »Er sollte Salat bringen; wir würden ihn roh gegessen haben wie die Tiere. Ihr sollt sehen, er kommt nicht heim. Er war schon gestern über Nacht ausgeblieben. Ich weiß nicht, was der Kerl treibt, aber mir scheint immer, daß er vollgefressen ist.«
    »Vielleicht sammelt er Sous auf der Straße!« bemerkte Etienne.
    Da geriet sie außer sich und streckte drohend die Fäuste in die Luft.
    »Wenn ich das wüßte!... Meine Kinder betteln! Lieber möchte ich sie umbringen und hernach mich selbst!«
    Maheu sank wieder auf seinen Sessel neben dem Tische. Leonore und Heinrich, erstaunt darüber, daß man nicht aß, begannen zu winseln, während der alte Bonnemort still da saß und philosophisch die Zunge im Munde wälzte, um seinen Hunger zu täuschen. Niemand sprach mehr; alle saßen wie niedergedrückt unter der Bürde ihres Leidens; der Großvater hustend, schwarz speiend, von seiner Gicht wieder gepackt, die in eine Wassersucht auszuarten drohte; der Vater asthmatisch, die Knie vom Wasser angeschwollen; die Mutter und die Kinder von ihren Erbübeln, den Skrofeln und der Blutleere heimgesucht. Das Gewerbe forderte es; man klagte darüber nur dann, wenn der Mangel an Nahrung das Leiden voll machte. Die Leute im Dorfe fielen schon wie die Fliegen. Man mußte doch etwas finden, um zu Nacht zu essen. Was tun, wohin gehen? Mein Gott!
    In dem Dämmerdunkel, das die Stube immer düsterer machte, entschloß sich endlich Etienne, dem das Herz zu brechen drohte.
    »Wartet auf mich«, sagte er. »Ich will irgendwo schauen.«
    Er ging hinaus. Er dachte an die Mouquette. Sie mußte ein Brot haben und werde es ihm gern geben. Es verdroß ihn, unter einem solchen Zwange nach der verfallenen Hütte in Réquillart zurückzukehren. Dieses Mädchen mit der Miene einer verliebten Magd werde ihm die Hände küssen. Doch man dürfe seine Freunde in der Not nicht verlassen; wenn nötig, werde er mit ihr wieder freundlich sein.
    »Auch ich will schauen«, sagte jetzt Frau Maheu. »Es ist zu dumm!«
    Sie öffnete hinter dem jungen Mann wieder die Tür und warf sie heftig zu; die anderen blieben unbeweglich und stumm zurück im spärlichen Lichte eines Kerzenstümpfchens, das Alzire angezündet hatte. Draußen blieb sie einen Augenblick nachdenklich stehen; dann trat sie bei der Levaque ein.
    »Ich lieh dir neulich ein Brot, vielleicht gibst du es mir heute zurück.«
    Doch sie unterbrach sich; was sie sah, war nicht sehr ermutigend; dieses Haus verriet noch mehr Elend als das ihrige.
    Frau Levaque schaute mit stieren Augen in ihr

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