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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Smelten hielten eine Woche lang offenen Laden; allein ihre Vorräte erschöpften sich, sie mußten bald wieder aufhören. Nur die Gerichtsvollzieher hatten ihre Freude daran; es blieb nichts übrig, als eine Schuldenlast, welche die Bergleute lange Zeit bedrückte. Man hatte keinen Kredit mehr; man hatte nicht eine alte Schüssel mehr zu verkaufen; man konnte sich in einen Winkel hinlegen und verrecken wie räudige Hunde.
    Etienne hätte sein Blut hingegeben; er hatte auf sein Sekretärsgehalt verzichtet und war nach Marchiennes gegangen, um daselbst seinen Überrock und sein tuchenes Beinkleid zu verpfänden; er war froh, daß er dadurch der Familie Maheu die Mittel bieten konnte, noch einige Tage den Fleischtopf ans Feuer zu setzen. Nur seine Stiefel behielt er, um gesunde Beine zu haben, wie er sagte. Sein großer Kummer war, daß der Arbeitsausstand zu früh gekommen war, als die Unterstützungskasse noch nicht Zeit gehabt hatte, sich zu füllen. Er erblickte darin die einzige Ursache des Unglücks; die Arbeiter würden sicherlich den Sieg über die Arbeitgeber davontragen, wenn sie in der Kasse die nötigen Mittel hätten, den Streik fortzusetzen. Er erinnerte sich der Worte Suwarins, der die Gesellschaft beschuldigte, daß sie zum Streik gedrängt habe, um die ersten Fonds der Unterstützungskasse zum Schwinden zu bringen.
    Der Anblick des Dorfes, dieser armen Leute ohne Brot und ohne Holz, raubte ihm seine Ruhe. Er ging lieber fort, um sich in weiten Spaziergängen zu ermüden. Als er eines Abends auf der Heimkehr an Réquillart vorbeikam, sah er eine alte Frau bewußtlos am Wegrande liegen. Ohne Zweifel starb sie Hungers. Er hob sie auf und rief ein Mädchen herbei, das er jenseits der Pfahlhecke bemerkte.
    »Du bist's«, sagte er, als er die Mouquette erkannte. »Hilf mir doch; man müßte ihr etwas zu trinken geben.«
    Zu Tränen gerührt eilte die Mouquette heim in die wackelige Hütte, die ihr Vater inmitten der Trümmer bewohnte. Sie kam von dort sogleich mit einem Brot und einem Fläschchen Wachholderbranntwein zurück. Der Branntwein brachte die Alte wieder zur Besinnung; ohne ein Wort zu sprechen, biß sie gierig in das Brot. Es war die Mutter eines Bergmannes; sie wohnte in einem Arbeiterdorfe bei Cougny und war hier zusammengesunken auf der Rückkehr von Joiselle, wo sie vergebens versucht hatte, von einer Schwester zehn Sous zu borgen.
    Etienne war allein geblieben auf diesem wüsten Felde von Réquillart, dessen eingestürzte Schuppen unter dem Gestrüpp verschwanden.
    »Willst du nicht bei uns eintreten, um ein Gläschen zu trinken?« fragte ihn die Mouquette heiteren Tones.
    Als er zögerte, fuhr sie fort:
    »Hast du denn noch immer Furcht vor mir?«
    Er folgte ihr, durch ihr Lachen angelockt. Ihn rührte die Herzlichkeit, mit der sie das Brot hergegeben hatte. Sie wollte ihn nicht in der Stube ihres Vaters empfangen und führte ihn in ihre eigene Kammer, wo sie sogleich zwei Gläschen Branntwein einschenkte. Diese Kammer war sehr sauber; er lobte sie dafür. Es schien übrigens der Familie an nichts zu mangeln: der Vater setzte seinen Dienst als Stallknecht im Voreuxschachte fort; sie selbst war, um nicht die Hände in den Schoß zu legen, Wäscherin geworden, wobei sie täglich dreißig Sous verdiente. Trieb sie auch gern ihren Spaß mit den Männern, so war sie deswegen doch keine Müßiggängerin.
    »Warum willst du mich nicht lieben?« fragte sie ihn plötzlich, indem sie ihn artig um den Leib faßte.
    Er konnte ein Lachen nicht unterdrücken, so niedlich hatte sie ihre Frage angebracht.
    »Ich liebe dich ja«, antwortete er.
    »Nein, nicht so wie ich will .... Du weißt, daß ich beinahe vor Verlangen sterbe. Es würde mir so großes Vergnügen machen!«
    Das war wahr. Seit sechs Monaten bat sie ihn darum. Er betrachtete sie noch immer, wie sie sich an ihn schmiegte, ihn mit ihren zitternden Armen umfing und ihm dabei so liebeheischend in die Augen schaute, daß er davon gerührt ward. Ihr dickes, rundes Gesicht hatte nichts Schönes; es war gelb, von der Kohle zerstört; aber ihre Augen leuchteten; von ihrer Haut ging ein Reiz, ein Beben aus, das sie ganz rosig und jung erscheinen ließ. Da sie sich ihm so untertänig, so liebeglühend hingab, fand er nicht mehr den Mut, sie zurückzuweisen.
    »Ach, du willst! du willst!« stammelte sie entzückt.
    Sie gab sich ihm hin mit der Ungeschicklichkeit und Willenlosigkeit einer Jungfrau, als sei es das erstemal, und als habe sie noch niemals

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