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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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jetzt vollständig. Nachdem er von der tiefbewegten Brüderlichkeit der Neubekehrten, von dem Bedürfnisse, die Lohnverhältnisse umzugestalten, ausgegangen war, gelangte er jetzt zu dem politischen Gedanken, die Lohnfrage überhaupt abzuschaffen. Seit der Versammlung in der Schenke »Zur Gemütlichkeit« hatte sein noch humanitärer und nicht in eine bestimmte Formel gefaßter Kollektivismus sich zu einem verwickelten Programm versteift, dessen einzelne Artikel er wissenschaftlich erörterte. Vor allem stellte er den Satz auf, die Freiheit könne nur durch die Zerstörung des Staates erlangt werden. Wenn erst das Volk sich der Regierung bemächtigt habe, würden die Umgestaltungen beginnen; die Rückkehr zur einfachen Gemeinschaft, der Ersatz der moralischen und unterdrückenden Familie durch eine freie Familie, in der alle gleich seien, eine vollkommene bürgerliche, politische und wirtschaftliche Gleichheit, gewährleistet durch die individuelle Unabhängigkeit dank dem Besitz und dem vollen Erträgnis der Arbeitsgeräte; endlich unentgeltlicher Fachunterricht, von der Gesamtheit bezahlt. All dies erfordere einen vollständigen Umsturz der alten, verfaulten Gesellschaft; er bekämpfte die Ehe, das Vererbungsrecht; er regelte jedermanns Vermögen; die ungerechten Satzungen der toten Jahrhunderte stürzte er nieder mit einer weitausholenden Bewegung seines Armes; es war immer die nämliche, die des Mähers, der die reife Saat abschneidet; mit der andern Hand richtete er wieder auf; er baute die künftige Menschheit auf, ein Gebäude von Wahrheit und Gerechtigkeit, in der Morgendämmerung des zwanzigsten Jahrhunderts emporwachsend. Bei dieser ungeheuren Anspannung der Gehirnarbeit kam der Verstand ins Schwanken, und es blieb nichts als die fixe Idee des Schwärmers übrig. Die Bedenken seiner Empfindlichkeit und seiner gesunden Vernunft waren geschwunden; nichts schien ihm leichter als die Verwirklichung dieser neuen Welt; er hatte alles vorausgesehen; er sprach davon wie von einer Maschine, die er in zwei Stunden instandsetzen wolle; weder Blut noch Feuer schrecke ihn ab.
    »Wir sind an der Reihe!« mit diesem letzten Rufe schloß er. »Unser ist die Macht, unser ist der Reichtum!«
    Die mächtigen Zurufe aus der Tiefe des Waldes wälzten sich bis zu ihm heran. Der Mond erhellte jetzt die ganze Lichtung, zeichnete in lebhaft bewegten Kämmen das Wogen der Köpfe ab bis in die verschwommenen Fernen der Schläge zwischen den großen, grauen Stämmen. Man sah in der eisigen Luft dieser Winternacht wütende Gesichter, leuchtende Augen, offene Mäuler, eine ganze Brunst des Volkes, Männer, Weiber und Kinder, ausgehungert und losgelassen zur Plünderung des alten Gutes, dessen man sie beraubt hatte. Sie fühlten die Kälte nicht mehr; diese flammenden Worte hatten sie bis ins Innere erhitzt. Eine religiöse Verzückung erhob sie über die Erde; es war wie das Hoffnungsfieber der ersten Christen, die der nahen Herrschaft der Gerechtigkeit harrten. Viele dunkle Sätze waren ihrem Verständnis entgangen; sie begriffen nichts von diesen technischen und abstrakten Erörterungen; allein die Unklarheit, die Abstraktion erweiterte noch das Gefilde der Verheißungen, riß sie wie in einer Verblendung fort. Welcher Traum! Sie würden die Herren sein, nicht mehr leiden, endlich genießen!
    »Jawohl, er hat recht! Donner Gottes, wir sind an der Reihe! Tod den Ausbeutern!«
    Die Weiber waren in Verzückung; die Maheu hatte ihre Ruhe verloren und war wie von dem Hungerschwindel ergriffen; die Levaque heulte, die alte Brulé war außer sich und fuchtelte mit ihren Hexenarmen herum; Philomene war von einem Hustenanfall geschüttelt; die Mouquette war in solcher Aufregung, daß sie dem Redner zärtliche Worte zurief. Unter den Männern hatte der für die Sache völlig gewonnene Maheu einen Zornesruf ausgestoßen; Pierron zitterte nur, während Levaque sehr redselig geworden war; die Spötter, Zacharias und Mouquet, versuchten die Geschichte ins Spaßige zu ziehen; sie fühlten sich im Grunde sehr unbehaglich und waren erstaunt, daß der Kamerad so lange reden könne, ohne einen Schluck zu trinken. Johannes auf dem Holzstoße machte den größten Lärm, ermunterte Lydia und Bebert und schwang den Korb, worin das Kaninchen lag.
    Die Zurufe der Menge hatten sich erneuert. Etienne genoß den Rausch seiner Volkstümlichkeit. Seine Macht war zur Wirklichkeit geworden; er gebot über dreitausend Männer; ein Wort von ihm genügte, um ihre

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