Germinal
beherrschend, stand Etienne mit Maheu und Rasseneur. Ein Streit war zwischen ihnen ausgebrochen; man hörte ihre Stimmen in plötzlichen Ausbrüchen. Neben ihnen standen einige Männer und hörten ihren Streit mit an: Levaque, mit geballten Fäusten, Pierron,den übrigen den Rücken kehrend und sehr beunruhigt, weil er nicht noch länger ein Fieber vorgeschützt hatte; dann der Vater Bonnemort und der alte Mouque, die auf einem Baumstumpf tief nachdenklich beisammen saßen. Weiter hinten die Spötter: Zacharias, Mouquet und noch andere, die nur gekommen waren, um ihren Spaß zu haben; Frauen standen in Gruppen beisammen, ernst wie in der Kirche. Frau Maheu nickte stumm zu den Flüchen der Levaque. Philomene hustete; seit Beginn des Winters hatte das Lungenleiden sie wieder heimgesucht. Nur die Mouquette lachte aus vollem Halse, erheitert durch die Art und Weise, wie Mutter Brulé ihre Tochter behandelte, eine Entartete, die sie aus dem Hause schickte, um sich inzwischen mit Kaninchenbraten gütlich zu tun, eine Verkaufte, die durch die Feigheiten ihres Mannes fett geworden. Johannes hatte auf dem Holzstoß Aufstellung genommen, hatte Lydia heraufgezogen und Bebert genötigt, ihnen zu folgen. Die drei standen oben höher als alle anderen.
Den Streit hatte Rasseneur angefangen, indem er forderte, daß ein Vorstand gewählt werde wie bei Versammlungen üblich sei. Er hatte die Niederlage noch nicht verwunden, die er in der Versammlung beim »Gemütlichen« erlitten hatte; er hatte geschworen, Rache zu nehmen, denn er schmeichelte sich, seine frühere Autorität wiederzugewinnen, wenn er nicht mehr den Bevollmächtigten, sondern dem Volke der Bergleute sich gegenüber befinde. Etienne war entrüstet; er hatte es blöd gefunden, daß man in diesem Walde einen Vorstand wählen solle. Da man sie hetze wie die Wölfe, müßten sie als Revolutionäre, als Wilde handeln.
Als er sah, daß der Streit kein Ende nehmen wolle, bemächtigte er sich mit einem Schlage der Menge; er stieg auf einen Baumstumpf und rief:
»Kameraden! Kameraden!«
Der wüste Lärm dieses Volkes verlor sich in einem langen Seufzer, während Maheu die Einreden Rasseneurs dämpfte. Etienne fuhr mit lauter Stimme fort:
»Kameraden! Da man uns verbietet zu sprechen; da man Gendarmen gegen uns aussendet, als ob wir Räuber wären, müssen wir uns hier verständigen. Hier sind wir frei, hier sind wir zu Hause; niemand wird uns hier Schweigen gebieten, so wenig wie den Vögeln und den wilden Tieren.«
Ein Sturm von Schreien und Ausrufen war der Widerhall dieser Worte.
»Ja, ja, der Wald gehört uns; man hat doch wohl das Recht, hier zu reden. Sprich!«
Etienne stand einen Augenblick unbeweglich auf dem Baumstumpfe. Der Mond stand noch zu tief am Gesichtskreise und beleuchtete nur die Baumkronen; die Menge blieb im Dunkel und ward allmählich wieder still. Etienne, der die anderen überragend auf der Höhe des Abhanges stand, glich einem dunkeln Barren.
Langsam erhob er einen Arm und begann zu sprechen; aber seine Stimme grollte nicht mehr; er hatte den kühlen Ton eines Abgesandten des Volkes angenommen, der seinen Rechenschaftsbericht erstattet. Er brachte schließlich jene Rede an, welche der Polizeikommissar in der Schenke »Zur Gemütlichkeit« ihm abgeschnitten hatte; er gab eine kurze geschichtliche Darstellung des Arbeitsausstandes, wobei er sich einer wissenschaftlichen Beredsamkeit bediente: Tatsachen, nichts als Tatsachen. Er sprach zuerst von seinem Widerstreben gegen den Arbeitsausstand; die Bergleute hätten den Ausstand nicht gewollt; die Gesellschaft mit ihrem neuen Lohntarif für die Verzimmerung habe sie herausgefordert. Er erinnerte an den ersten Schritt, den die Bevollmächtigten bei dem Direktor getan hatten; an das Übelwollen der Gesellschaft bei jener Gelegenheit und an ihr verspätetes Zugeständnis bei dem zweiten Schritte: die zehn Centimes, die sie zurückgab, nachdem sie den Versuch gemacht, sie zu stehlen, nun sei man so weit gekommen; er führte Ziffern auf, um die Erschöpfung der Unterstützungskasse darzulegen, gab die Verwendung der gesandten Gelder an, entschuldigte in einigen Redensarten die Internationale, Pluchart und die anderen, daß sie inmitten ihrer Sorgen, die Welt zu erobern, nicht mehr für sie tun könnten. Die Lage werde von Tag zu Tag schwieriger, die Gesellschaft sende die Arbeitsbücher zurück und drohe, belgische Arbeiter anzuwerben; überdies schüchtere sie die Schwachen ein; sie habe eine gewisse
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