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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nicht mit Fußtritten in den Hintern hinausbefördert werden willst.«
    Sie wich scheu zurück, ging aber nicht; sie wollte sehen, welche Wendung die Dinge nehmen würden.
    Deneulin kam über die Treppe des Sichtungsschuppens bei der Grube an. Trotz des schwachen Lichtes der Laternen erfaßte er mit einem raschen Blick die ganze Szene, die in Schatten getauchte Menge, in der er jedes Gesicht kannte, die Häuer, die Verlader, die Handlanger, die Schlepperinnen, selbst die Stößerjungen. In dem neuen, noch sauberen Schiffe feierte die Arbeit. Die unter Druck stehende Maschine ließ ein leises Zischen des Dampfes vernehmen; die Schalen hingen an den unbeweglichen Seilen; die auf halbem Wege im Stiche gelassenen Karren standen auf dem aus Eisenplatten gefügten Fußboden herum. Man hatte kaum achtzig Lampen geholt, die anderen brannten in der Lampenkammer. Ein Wort von ihm werde sicherlich genügen, und die Arbeit werde aufgenommen, sagte sich Herr Deneulin.
    »Was geht denn vor, Kinder?« fragte er mit lauter Stimme. »Was verdrießt euch? Erklärt es mir, wir werden uns verständigen.«
    Gewöhnlich zeigte er sich seinen Leuten gegenüber väterlich wohlwollend, wenngleich er viel Arbeit forderte. Gebieterisch und schroff in seinem Auftreten, suchte er sie zuerst durch eine geräuschvolle Gemütlichkeit zu gewinnen; er war bei ihnen im ganzen beliebt, denn sie achteten in ihm vornehmlich den Mann von Mut, der immer mit ihnen in den Schlägen war, der erste bei der Gefahr, wenn ein Unglücksfall die Grube in Schrecken versetzte. Zweimal schon hatte man ihn nach schlagenden Wettern an einem Seil hinabgelassen, wenn selbst die Kühnsten sich nicht in die Grube wagten.
    Jetzt nahm er wieder das Wort.
    »Ihr laßt mich doch nicht bereuen, daß ich mich für euch verbürgt habe«, sagte er. »Ihr wißt, daß ich es abgelehnt habe, einen Gendarmerieposten hier aufzunehmen, wie mir angeboten worden ... Sprecht ruhig, ich höre euch.«
    Jetzt schwiegen alle verlegen und entfernten sich von ihm; endlich sagte Chaval:
    »Herr Deneulin, wir können nicht weiterarbeiten; wir müssen fünf Centimes mehr für die Karre haben.«
    Er schien überrascht.
    »Wie? Fünf Centimes? Aus welchem Anlasse erhebt ihr diese Forderung? Ich beklage mich nicht über eure Verzimmerungen; ich will euch keinen neuen Tarif auferlegen wie die Verwaltung von Montsou.«
    »Das ist möglich; aber die Kameraden von Montsou sind dennoch in ihrem Rechte. Sie weisen den Tarif zurück und fordern eine Erhöhung um fünf Centimes, weil man bei den gegenwärtigen Preisen unmöglich sauber arbeiten kann... Wir wollen fünf Centimes mehr: nicht wahr, ihr Leute?«
    Man hörte Zustimmungsrufe, der Lärm hub wieder an, und die Arme fuchtelten heftig herum. Allmählich kamen alle näher und umstanden ihn in einem engen Kreise.
    Eine Flamme entzündete sich in den Augen Deueulins; als ein Mann, der mit starker Hand zu regieren liebte, preßte er die Fäuste zusammen aus Furcht, daß er der Versuchung nachgeben könne, einen dieser Arbeiter an der Gurgel zu packen. Doch er zog es vor, mit ihnen zu unterhandeln, sich an ihre Vernunft zu wenden.
    »Ihr wollt fünf Centimes, und ich gebe zu, daß die Arbeit es wert ist. Allein ich kann sie euch nicht geben. Wenn ich sie euch gebe, bin ich ganz einfach geliefert... Vor allem muß ich selbst leben können, wenn ihr leben wollt. Und ich bin an der äußersten Grenze angelangt; die geringste Vermehrung der Herstellungskosten müßte meinen Sturz zur Folge haben. Bei dem letzten Streik vor zwei Jahren habe ich noch nachgegeben, weil ich es konnte. Indes hatte jene Lohnerhöhung für mich schlimme Folgern; ich habe seither zu kämpfen. Heute würde ich lieber die ganze Bude im Stich lassen, denn ich wüßte im nächsten Monate nicht mehr, womit ich euch bezahlen soll.«
    Chaval lachte hämisch dem Herrn ins Gesicht, der ihnen so freimütig seine Verhältnisse darlegte; die anderen schauten zur Erde; sie waren eigensinnig und wollten nicht begreifen, daß ein Arbeitgeber nicht Millionen an seinen Arbeitern gewinne.
    Deneulin drang weiter in sie. Er erklärte ihnen seinen Kampf gegen Montsou, das stets auf der Lauer sei und bereit, ihn zu verzehren, wenn er eines Abends so ungeschickt sei, die Beine zu brechen. Es sei ein wilder Wettbewerb, der ihn zu Ersparungen zwinge, um so mehr, als die große Tiefe der Jean-Bart-Grube die Kosten der Förderung erhöhe, -— ein ungünstiger Umstand, der durch die größere Dichtigkeit des

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