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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kohlenlagers kaum wettgemacht werde. Niemals hätte er infolge des letzten Streiks die Löhne erhöht, wäre er nicht genötigt gewesen, Montsou nachzuahmen aus Furcht, daß seine Leute ihn verlassen könnten. Er drohte ihnen mit der Zukunft; was hätten sie auch davon, wenn sie ihn zwängen, die Grube zu verkaufen? Sie gerieten unter das Joch der Gesellschaft. Er throne nicht so weit in einem unbekannten Heiligtum; er sei nicht einer jener Aktionäre, die Direktoren bezahlten, um den Arbeiter zu rupfen, und die der Arbeiter niemals gesehen habe. Er sei ein Arbeitgeber und wage noch etwas anderes als sein Geld: er wage seine Intelligenz, seine Gesundheit, sein Leben. Die Arbeitseinstellung sei ganz einfach der Tod; denn er habe keinen Vorrat und müsse doch die Bestellungen ausführen. Anderseits dürfe das in dem Betriebsmaterial angelegte Kapital nicht brach liegen. Wie solle er seinen Verpflichtungen nachkommen? Wer werde die Summen verzinsen, die seine Freunde ihm anvertraut hätten? Es sei der Bankerott.
    »Ja, so ist es, ihr guten Leute«, schloß er. »Ich möchte euch überzeugen. Man kann von einem Manne nicht verlangen, daß er sich selbst abschlachtet, nicht wahr? Wenn ich euch die fünf Centimes bewillige oder euch in den Streik gehen lasse, ist es gerade soviel, als wenn ich mir den Hals abschneide.«
    Er schwieg. Es entstand ein Gemurmel unter den Arbeitern; ein Teil schien zu schwanken. Mehrere kehrten zur Einfahrt des Schachtes zurück.
    »Man soll doch jedem seine Freiheit lassen!« rief ein Aufseher ... »Wer will arbeiten?«
    Katharina war als eine der ersten vorgetreten; doch Chaval stieß sie wütend zurück und schrie:
    »Wir alle sind einig! Ein Schurke, wer seine Kameraden im Stiche läßt!«
    Nunmehr schien ein Ausgleich unmöglich. Das Geschrei begann von neuem, und man drängte die Leute vom Schachte weg auf die Gefahr hin, sie an den Wänden zu zerdrücken. Einen Augenblick versuchte der verzweifelte Direktor, allein den Kampf gegen diese Menge aufzunehmen und sie durch seine Heftigkeit zu bezwingen; allein es war eine nutzlose Torheit, er mußte weichen. Er blieb einige Minuten im Büro des Aufnahmebeamten erschöpft auf einem Sessel sitzen, dermaßen außer sich wegen seiner Ohnmacht, daß er keinen Gedanken fassen konnte. Endlich beruhigte er sich; er befahl einen Aufseher, ihm Chaval zu holen; als dieser sich zu einer Unterredung bereit erklärte, verabschiedete er mit einer Handbewegung die Leute.
    »Laßt uns allein!«
    Der Plan Deneulins war zu sehen, was der Bursche eigentlich wollte. Nach den ersten Worten war ihm klar, daß er es mit einem eitlen, von Neid verzehrten Burschen zu tun habe. Da suchte er ihm durch Schmeichelworte beizukommen; er stellte sich erstaunt darüber, daß ein so wohlverdienter Arbeiter wie er in solcher Weise seine Zukunft verscherze. Er ließ durchblicken, daß er schon längst seine Augen auf Chaval geworfen habe, um diesen rasch vorrücken zu lassen. Schließlich machte er ihm rundheraus den Vorschlag, ihn später zum Aufseher zu ernennen. Chaval hörte ihn stillschweigend an mit anfangs geballten, später allmählich sich öffnenden Fäusten. In seinem Schädel gärte es heftig; wenn er hartnäckig auf dem Streik bestand, konnte er nur der Stellvertreter Etiennes sein; hier eröffnete sich ihm ein anderer Ehrgeiz: er konnte ein Oberhaupt werden. Heiß stieg ihm der Stolz ins Gesicht und betäubte ihn. Die Bande der Streikenden, die er seit dem Morgen erwartete, konnte jetzt kaum mehr kommen, irgendein Hindernis hatte sie aufhalten müssen, vielleicht Gendarmen. Man hatte knapp Zeit, sich zu unterwerfen. Nichtsdestoweniger schüttelte er den Kopf, spielte den Unkäuflichen, schlug sich stolz an die Brust. Ohne dem Herrn etwas von dem Stelldichein zu sagen, das er mit den Streikenden von Montsou verabredet hatte, versprach er schließlich, die Kameraden zu beschwichtigen und sie zur Anfahrt zu bereden.
    Deneulin blieb verborgen; auch die Aufseher hielten sich abseits. Eine Stunde lang hörten sie Chaval im Aufnahmesaale von einem Karren herab reden, streiten. Ein Teil der Arbeiter beschimpfte ihn; ihrer hundertundzwanzig gingen erbittert davon; sie beharrten in dem Entschlusse, zu dem er sie vorhin beredet hatte. Sieben Uhr war vorüber; der Tag war angebrochen, ein klarer, kalter Wintertag. Plötzlich kam die Grube wieder in Bewegung, die unterbrochene Arbeit begann von neuem. Der Kolben der Maschine senkte sich, rollte die Kabel auf und ab. Inmitten

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