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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ihn.
    »Kameraden, morgen früh in Jean-Bart! Ist's abgemacht?«
    »Ja, ja, in Jean-Bart! Tod den Verrätern!«
    Der Sturm dieser dreitausend Stimmen erfüllte den Himmel und erstarb in der klaren Helle des Mondes.

Teil 5

Erstes Kapitel
    Um vier Uhr war der Mond untergegangen, und es herrschte stockfinstere Nacht. Alles schlief noch im Hause Deneulins; das aus Ziegeln erbaute alte Haus lag stumm und düster mit verschlossenen Türen und Fenstern am Ende eines großen, verwahrlosten Gartens, der es von der Jean-Bart-Grube trennte. An der andern Stirnseite des Hauses vorbei lief die einsame Straße nach Vandame, einem großen Flecken, der in einer Entfernung von etwa drei Kilometern hinter dem Walde verborgen lag.
    Deneulin, der einen Teil des vorhergegangenen Tages in der Grube zugebracht hatte, lag der Mauer zugewandt und schnarchte, als er träumte, daß man ihn rufe. Er erwachte schließlich, hörte wirklich eine Stimme und eilte zum Fenster, um zu öffnen. Einer seiner Aufseher stand im Garten.
    »Was gibt es?« fragte er.
    »Herr, eine Revolte; die Hälfte der Leute will nicht arbeiten und hindert die andere Hälfte anzufahren.«
    Deneulin verstand ihn nicht recht; sein schlaftrunkener Kopf summte; die kalte Luft drang wie ein eisiges Sturzbad auf ihn ein.
    »Zwingen Sie sie anzufahren!« stammelte er.
    »Wir unterhandeln seit einer Stunde vergebens, und so sind wir denn auf den Gedanken gekommen, Sie aufzusuchen, gnädiger Herr. Sie allein können sie zur Vernunft bringen.«
    »Gut, ich gehe.«
    Er kleidete sich in aller Eile an. Sein Kopf war jetzt klar; er war sehr unruhig geworden. Man hätte das Haus plündern können, weder die Köchin noch der Hausdiener hatte sich gerührt. Doch jetzt vernahm er von der andern Seite des Flurs her ein Geflüster ängstlicher Stimmen. Als er hinausging, öffnete sich die Tür seiner Töchter, und beide erschienen, in weiße Schlafröcke gehüllt, die sie in aller Eile umgeworfen hatten.
    »Was geht vor, Vater?«
    Luzie, die Ältere, war schon zweiundzwanzig Jahre alt, groß, braun, mit stolzer Miene; Johanna, die Jüngere, zählte kaum neunzehn Jahre, war klein, mit goldblondem Haar und von einer einschmeichelnden Anmut.
    »Nichts Ernstes«, antwortete der Vater, um sie zu beruhigen. »Es scheint, daß Randalmacher in der Grube einigen Lärm verursachen. Ich will einmal nachschauen.«
    Doch sie widersetzten sich seinem Vorhaben; sie wollten ihn nicht fortlassen, ohne daß er etwas Warmes genommen habe. Er werde sonst krank heimkehren mit wüstem Magen wie immer. Er wehrte sich und gab sein Ehrenwort, daß er Eile habe.
    »Höre«, sagte Johanna und hängte sich an seinen Hals. »Du wirst ein Gläschen Rum trinken und zwei Stück Zwieback essen; sonst bleibe ich da an deinem Halse, und du mußt mich mitnehmen.«
    Er mußte sich fügen, wenngleich er versicherte, daß der Zwieback ihm zu schwer im Magen liege. Schon stiegen sie vor ihm hinab, jede mit ihrem Leuchter. Im Speisezimmer beeilten sie sich, ihn zu bedienen; die eine goß den Rum ein, die andere lief in die Küche, um ein Paket Zwieback zu holen. Sie hatten ihre Mutter früh verloren und sich daher selbst erzogen, allerdings sehr schlecht erzogen, vom Vater verhätschelt, die Ältere von dem Traum geplagt, Opernsängerin zu werden, die Jüngere von einer Leidenschaft für die Malerei erfaßt mit einer Kühnheit des Geschmacks, die ihresgleichen suchte. Doch als infolge geschäftlicher Verlegenheiten der Haushalt eingeschränkt werden mußte, waren bei diesen Mädchen, die so außergewöhnliche Neigungen zu haben schienen, plötzlich sehr kluge und sehr schlaue Haushälterinnen zum Vorschein gekommen, die den kleinsten Fehler in den Rechnungen der Köchin entdeckten. Trotz ihres freien künstlerischen Wesens hielten sie die Schnüre des Geldbeutels fest in der Hand, kargten selbst um wenige Sous, stritten mit den Lieferanten, besserten unablässig ihre Toiletten aus, und so gelang es ihnen, der wachsenden Verarmung des Hauses einen Schein der Anständigkeit zu geben.
    »Iß, Papa«, wiederholte Luzie.
    Als sie bemerkte, daß er wieder in stilles, sorgenvolles Nachdenken versank, wurde sie von Angst ergriffen.
    »Die Sache ist also ernst, weil du solche Grimassen machst?... Wir bleiben bei dir. Man wird ohne uns zu der Frühstückstafel fahren.«
    Sie sprach von einem Ausfluge, der für diesen Morgen geplant war. Frau Hennebeau sollte mit ihrer Kalesche zuerst Cäcilie bei den Grégoires abholen, nachher Luzie und

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