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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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diesen Luxus musternd, der sie auszuweichen nötigte. Ihre Menge wuchs immer mehr an; die Pferde mußten im Schritt über die kleine Scarpebrücke gehen. Was ging denn vor, daß all das Volk sich auf den Heerstraßen herumtrieb? Die Fräulein erschraken; Negrel begann irgendeinen Rummel in der in Bewegung geratenen Gegend zu wittern; alle atmeten auf, als sie endlich in Marchiennes ankamen. Unter der Sonne, die sie auszulöschen schien, ließen die Batterien der Koksöfen und die Türme der Hochöfen ihre Rauchwolken aufsteigen, deren ewiger Ruß wie ein schwarzer Regen sich in der Luft niedersenkte.
     

Zweites Kapitel
    In der Jean-Bart-Grube schob Katharina seit einer Stunde die Karren bis zur Ablösungsstelle; sie war dermaßen von Schweiß getränkt, daß sie einen Augenblick innehalten mußte, um sich das Gesicht abzutrocknen.
    Chaval, der mit den Kameraden seiner Gruppe im Schlage arbeitete, war erstaunt, als er das Rollen der Karren nicht mehr hörte. Die Lampen brannten schlecht, der Kohlenstaub hinderte ihn zu sehen.
    »Was gibt es?« schrie er.
    Als sie ihm geantwortet hatte, daß sie schier zerfließe und daß ihr das Herz aus dem Leibe zu fallen drohe, erwiderte er wütend:
    »Dummes Vieh, mach' es wie wir und wirf das Hemd ab!«
    Es war siebenhundertundacht Meter tief im Norden, in dem ersten Teile der Désirée-Ader, drei Kilometer vom Absatze entfernt. Wenn die Bergleute von diesem Teil der Grube sprachen, erbleichten sie und dämpften die Stimme, als hätten sie von der Hölle gesprochen; sie schüttelten zumeist nur die Köpfe und zogen es vor, nicht von diesen glühenden Höllentiefen zu reden. In dem Maße, wie die Galerien sich nach Norden ausdehnten, näherten sie sich dem Tartaret und drangen in das Gebiet des unterirdischen Brandes ein, der weiter oben die Felsen verkalkte. An der Stelle, wo man angelangt war, hatten die Schläge eine Durchschnittstemperatur von fünfundvierzig Grad. Man befand sich mitten in der verwünschten Stadt, mitten unter den Flammen, die jeder, der durch die Ebene kam, bei den Schlünden sehen konnte, die Schwefel und abscheuliche Dämpfe spien.
    Katharina, die schon ihren Kittel abgelegt hatte, zögerte einen Augenblick, dann zog sie auch das Beinkleid aus. Mit nackten Armen und nackten Schultern, das Hemd nach Art eines Kittels mittels einer Schnur um die Hüften befestigend, machte sie sich wieder an die Arbeit.
    »Es wird so besser gehen«, sagte sie laut.
    In ihre Beklemmung mengte sich eine unbestimmte Angst. Seit den fünf Tagen, da sie hier arbeiteten, dachte sie an die Geschichten, mit denen man sie in ihrer Kindheit erschreckt hatte; an die Schlepperinnen von ehemals, die unter dem Tartaret brannten zur Strafe für Dinge, die man nicht zu wiederholen wagte. Sie war jetzt allerdings zu groß, um an solche Dummheiten zu glauben; und doch, was hätte sie getan, wenn plötzlich aus der Kohlenwand ein Mädchen hervorgekommen wäre, rot wie ein Ofen und mit zwei glühenden Kohlen anstelle der Augen? Dieser Gedanke vermehrte noch ihren Schweiß.
    Bei der Ablösungsstelle, achtzig Meter vom Schlage, übernahm eine andere Schlepperin den Karren und rollte ihn achtzig Meter weiter, bis zur schiefen Ebene, wo der Übernehmer ihn mit den von den höheren Gängen ankommenden zugleich an die Oberfläche expedierte.
    »Du machst dir's aber bequem«, sagte dieses Weib, eine magere Witwe von dreißig Jahren, als sie Katharina im Hemde sah. »Ich tue es nicht; die Stößerjungen ärgern mich mit ihren unflätigen Reden.«
    »Ich kümmere mich wenig um die Mannsleute; ich leide zu stark durch die Hitze«, antwortete das Mädchen.
    Sie nahm einen leeren Karren und kehrte zurück. Das schlimmste war, daß in diesem tiefen Gange zur Nachbarschaft des Tartaret noch etwas anderes hinzukam, die Hitze unerträglich zu machen. Man befand sich neben einem ehemaligen Arbeitsstollen, einer aufgelassenen Galerie des Gaston-Marie-Schachtes, wo vor zehn Jahren infolge schlagender Wetter die Ader in Brand geraten war, die noch immer hinter der Lehmwand brannte, welche man aufgeführt hatte und immer wieder ausbesserte, um dem Feuer eine Grenze zu setzen. Der Luft beraubt, hätte das Feuer erlöschen müssen; aber ohne Zweifel ward es durch Luftzüge angefacht, die aus unbekannten Richtungen kamen; es erhitzte den Lehm der Scheidewand, wie man die Ziegel eines Ofens erhitzt, so daß man im Vorbeigehen die Glühhitze verspürte. Längs dieser Mauer in einer Länge von über hundert Metern und

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