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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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in einer Temperatur von sechzig Grad wurden die Karren geschoben.
    Nach zwei Fahrten glaubte Katharina von neuem ersticken zu müssen. Glücklicherweise war der Weg breit und bequem in dieser Désirée-Ader, einer der dichtesten in der Gegend. Das Lager hatte eine Dichtigkeit von einem Meter neunzig Zentimeter. Die Bergleute konnten aufrechtstehend arbeiten, allein sie hätten lieber mit gebeugtem Rücken gearbeitet, wenn sie nur etwas frische Luft gehabt hätten.
    »Schläfst du denn?« rief Chaval heftig, sobald er Katharinens Bewegungen nicht mehr hörte. »Wer hat mir ein solches Faultier an den Hals gehängt? Willst du wohl deinen Karren füllen und schieben?«
    Katharina befand sich am Fuße des Schlages und stützte sich auf ihre Schaufel. Ein Unwohlsein erfaßte sie, während sie mit blöder Miene und ohne zu gehorchen, die anderen betrachtete. Sie sah sie nur undeutlich bei dem rötlichen Scheine der Lampen, ganz nackt wie die Tiere, so schwarz, so schmutzig von Schweiß und Kohle, daß ihre Nacktheit ihr nicht anstößig war. Es war, als verrichteten Affen mit gestrecktem Rücken ihr finsteres Werk; ein höllisches Bild von geröteten Gliedern, die sich unter dumpfen Schlägen und Ächzen erschöpften. Die Arbeiter aber sahen Katharina ohne Zweifel deutlicher; sie ließen ihre Spitzhauen einen Augenblick und begannen mit ihr zu scherzen, weil sie ihr Beinkleid abgelegt hatte.
    »Paß auf, du holst dir einen Schnupfen!«
    »Die hat echte Beine! Chaval, sie hat genug für zwei!«
    »Man müßte sehen. Hebe das Hemd, höher, höher!«
    Gleichgültig bei diesen Späßen der Kameraden fiel Chaval wieder über das Mädchen her.
    »Wird's endlich?« schrie er. »Bei den Schweinereien ist sie gleich dabei; sie möchte bis morgen zuhören.«
    Katharina hatte sich mühselig wieder entschlossen, ihre Karre zu füllen und schob sie fort. Die Galerie war zu breit, als daß sie auf beiden Seiten an die Hölzer hätte anstoßen können. Ihre nackten Füße krümmten sich in dem Geleise, wo sie einen Stützpunkt suchten, während sie langsam, die Arme vorgestreckt, den Körper vorgebeugt, sich fortbewegte. Aber wenn sie an der Scheidewand vorüberkam, begann der Marter der Hitze wieder; der Schweiß rann von ihrem ganzen Körper in großen Tropfen wie ein Gewitterregen. Sie hatte noch nicht den dritten Teil der Strecke zurückgelegt und war schon in Schweiß gebadet, geblendet, mit schwarzem Schmutz bedeckt. Das enge Hemd, wie in Tinte getaucht, klebte an ihrer Haut und verschob sich bei der Bewegung der Schenkel bis zu den Lenden. Sie fühlte sich darin so schmerzlich beengt, daß sie abermals ihre Arbeit unterbrechen mußte.
    Was hatte sie denn heute? Niemals hatte sie sich so matt gefühlt. Es mußte an der verschlechterten Luft liegen. In diesem fernen Gange war keine Lüftung. Man sah daselbst alle Arten von Dämpfen, die mit dem leisen Brodeln einer Quelle aus der Kohle aufstiegen, manchmal so reichlich, daß die Lampen zu erlöschen drohten; von den schlagenden Wettern nicht zu reden, die jahraus jahrein den Arbeitern um die Nase wehten. Sie kannte diese schlechte Luft sehr gut, diese tote Luft, wie die Grubenarbeiter sie nennen; unten erstickende, schwere Gase, oben leichte Gase, die sich entzünden und in einem einzigen Donnerschlage alle Werkplätze einer Grube, hunderte von Menschen vernichten. Seit ihrer Kindheit hatte sie davon soviel verschluckt, daß sie sich wunderte, wie sie diese Luft so schwer ertrug, daß ihr die Ohren sausten und der Hals brannte.
    Da sie nicht weiter konnte, fühlte sie ein Bedürfnis, ihr Hemd abzulegen. Es wurde ihr zur Marter; die kleinsten Falten des Linnens schnitten sie, brannten sie. Sie widerstand einen Augenblick, wollte noch weiter schieben, war aber genötigt, sich aufzurichten. Sie nahm sich vor, es bei der Ablösungsstelle wieder anzuziehen, warf alles ab, Hemd und Schnur, mit einer so fieberhaften Gebärde, daß sie sich die Haut weggerissen hätte, wenn sie es hätte tun können. Nunmehr nackt, erbärmlich, zum Tiere erniedrigt, das im Straßenschmutz trottet, um seine Nahrung zu suchen, arbeitete sie, die Lenden mit Schweiß bedeckt, schmutzig bis zum Bauche wie ein Droschkenpferd. Auf allen Vieren kriechend, schob sie ihren Karren fort.
    Doch zu ihrer Verzweiflung merkte sie, daß sie -- obgleich nackt -- sich noch immer nicht erleichtert fühlte. Was sollte sie noch ausziehen? Das Sausen ihrer Ohren betäubte sie; ihr war, als presse ein Schraubstock ihr die

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