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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Schläfen zusammen. Sie fiel auf die Knie. Die auf dem Karren zwischen den Kohlen stehende Lampe schien erlöschen zu wollen. In dem Wirrsal ihrer Gedanken erhielt sich nur der Wunsch, den Docht der Lampe emporzuschrauben. Zweimal wollte sie die Lampe untersuchen und beide Male, als sie dieselbe vor sich auf den Boden hinstellte, sah sie sie kleiner werden, als sei auch ihr der Atem ausgegangen. Plötzlich erlosch die Lampe. Alles versank in Finsternis, ein Mühlstein kreiste in ihrem Schädel, ihr Herz hörte auf zu schlagen, gelähmt durch die ungeheure Mattigkeit, die ihre Glieder einschläferte. Sie lehnte sich zurück und lag in der erstickenden Luft wie tot am Boden.
    »Ich glaube gar, sie faulenzt wieder«, grollte die Stimme Chavals von neuem.
    Er lauschte von der Höhe des Schlages und hörte das Rollen der Räder nicht.
    »He, Katharina, verdammte Blindschleiche!«
    Seine Stimme verlor sich in der Ferne, in der finsteren Galerie; kein Hauch antwortete ihr.
    »Soll ich dir auf die Beine helfen?« schrie er wieder.
    Nichts bewegte sich; die nämliche Totenstille. Er stieg wütend herab und lief mit seiner Lampe so heftig dahin, daß er beinahe über den Körper der Schlepperin strauchelte, die querüber auf dem Wege lag. Erstaunt betrachtete er sie. Was hatte sie denn? Das war doch nicht etwa eine Verstellung, um sich ein Schläfchen zu gönnen? Doch als er die Lampe senkte, um ihr ins Gesicht, zu leuchten, drohte sie zu erlöschen. Er hob sie in die Höhe, senkte sie wieder und begriff endlich: es mußte eine Stickluft sein. Seine Heftigkeit wich, und seine Zuneigung erwachte angesichts der in Gefahr befindlichen Genossin. Er schrie, man solle ihm sein Hemd bringen; er hatte das nackte, ohnmächtige Mädchen mit beiden Armen umfangen und hob sie so hoch, wie er konnte. Als man ihm seine und ihre Kleider über die Schultern geworfen hatte, eilte er davon, mit der einen Hand seine Last stützend, mit der andern die beiden Lampen tragend. Die tiefen Galerien dehnten sich dahin: er rannte rechts, er rannte links, um das Leben zu suchen in der eisigen Luft der Ebene, welche der Ventilator in die Grube strömen ließ. Ein Geplätscher, wie von einer Quelle kommend, ließ ihn plötzlich stille halten; es war eine Wasserader, die den Felsen durchbrochen hatte. Chaval hatte den Kreuzweg einer großen Abfuhrgalerie erreicht, die ehemals dem Gaston-Marie-Schachte gedient hatte. Die Lüftung wehte hier mit der Macht eines Sturmwindes; es war so kühl, daß er von einem Frösteln geschüttelt wurde, als er seine Geliebte zu Boden setzte, die noch immer bewußtlos und deren Augen noch immer geschlossen waren.
    »Katharina, höre!... Mach' keine Dummheiten .... Halte dich ein wenig, damit ich das Hemd ins Wasser tauchen kann.«
    Er erachrak, als er sie so ohnmächtig sah; indes konnte er sein Hemd in die Quelle tauchen und wusch ihr das Gesicht damit. Mit dem schmächtigen Körper eines spät reifenden Mädchens, an dem die Formen der Mannbarkeit nur langsam hervortraten, war sie wie tot und begraben hier tief unter der Erde. Dann lief ein Frösteln über ihre kindliche Brust, über ihren Bauch und ihre Schenkel eines bedauernwerten Kindes, das vor dem Alter der Mannbarkeit entehrt worden. Sie schlug die Augen auf und stammelte:
    »Mich friert.«
    »Ach, das ist mir lieber!« rief Chaval erleichtert.
    Er kleidete sie wieder an, warf ihr leicht das Hemd über und fluchte wegen der Mühe, die er hatte, ihr das Beinkleid anzuziehen, weil sie selbst nicht nachhelfen konnte. Sie war noch völlig betäubt, begriff nicht, wo sie sich befand, noch auch, weshalb sie nackt war. Als sie sich endlich erinnerte, überkam sie ein Gefühl der Scham. Wie hatte sie es wagen können, alles auszuziehen? Sie fragte ihn: hatte man sie gesehen so völlig nackt, ohne wenigstens ein Taschentuch um den Leib zu haben, ihre Blöße zu verdecken? Er machte jetzt wieder Spaß und erzählte, er habe sie zwischen allen Kameraden, die eine Gasse bildeten, hierher gebracht. Welch Einfall war es auch, seinem Rat zu folgen und sich den Hintern zu entblößen! Schließlich gab er sein Wort, mit ihr so rasch davongelaufen zu sein, daß die Kameraden nicht wissen konnten, ob sie einen runden oder viereckigen Hintern habe.
    »Aber jetzt erfriere ich beinahe«, fügte er hinzu, indem er sich ebenfalls ankleidete.
    Niemals hatte sie ihn so freundlich gesehen. Gewöhnlich tauschte sie für ein gutes Wort zwei Grobheiten ein. Es wäre so schön gewesen, in

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