Germinal
aufzusteigen; allein die Fahrkunst war dort nicht mehr in Betrieb. Er fluchte, zögerte, suchte seine Furcht zu verbergen, und wiederholte, es sei albern, so zu laufen. Man werde sie doch nicht in der Grube lassen.
Abermals ertönte die Stimme des Aufsehers jetzt wieder näher:
»Alle hinaus! Zu den Leitern! Zu den Leitern!«
Chaval wurde von den Kameraden mitgerissen. Er drängte Katharina vor sich her, beschuldigte sie, nicht schnell genug zu laufen. Sollten sie allein in der Grube bleiben, um da Hungers zu sterben? Die Räuber von Montsou seien imstande, die Leitern zu zerstören, noch ehe alle Arbeiter draußen waren. Dieser gräßliche Gedanke brachte alle völlig aus der Fassung; es entstand ein wütendes Rennen die Galerien entlang; jeder suchte, dem anderen zuvorzukommen. Einige Männer schrien, die Leitern seien zerbrochen, niemand gelange mehr ins Freie. Als sie in entsetzten Gruppen in dem Aufzugssaale ankamen, gab es da eine ordentliche Stockung; alle stürzten nach dem Schachte, und es entstand ein arges Gedränge vor der schmalen Pforte, die zu den Leitern führte; ein alter Stallknecht, der vorsichtshalber die Pferde nach dem Stalle zurückgeführt hatte, sah mit verächtlicher Sorglosigkeit dieses Treiben mit an, er war gewohnt, Nächte in der Grube zuzubringen und war sicher, daß man ihn schließlich hinaufbefördern werde.
»Spute dich, steige vor mir hinauf,« rief Chaval Katharina zu; »so kann ich dich wenigstens festhalten, wenn du fällst.«
Atemlos und völlig erschöpft durch diesen drei Kilometer weiten Lauf, der sie wieder mit Schweiß bedeckt hatte, ließ sie sich von der Menge fortschieben, ohne die Sache zu begreifen. Er faßte sie bei dem Arme mit solcher Gewalt, als wollte er ihn zerquetschen; sie stieß eine Klage aus, und Tränen stürzten ihr aus den Augen. Schon hatte er sein Versprechen vergessen; sie konnte niemals glücklich sein.
»Vorwärts!« brüllte er.
Doch sie hatte zu große Furcht vor ihm. Wenn sie vor ihm hinaufstiege, würde er sie die ganze Zeit so mißhandeln. Darum widersetzte sie sich, während die tolle Menge der Kameraden beide zur Seite stieß. Das Sickerwasser des Schachtes fiel in schweren Tropfen herab, und der Fußboden des Saales, durch das Getrappel der Menge erschüttert, zitterte über der mit schmutzigem Wasser gefüllten Senkgrube, die eine Tiefe von zehn Metern hatte. Gerade im Jean-Bart war vor zwei Jahren das Unglück geschehen, daß ein Kabel riß und die Schale in die Senkgrube stürzte, wo zwei Arbeiter ertranken. Dieses Unglücksfalles erinnerten sich jetzt alle: wenn man auf dem Bretterboden in allzugroßer Menge sich ansammelt, können alle in der Senkgrube ihren Tod finden.
»Verwünschter Dickschädel!« schrie Chaval. »Krepiere denn; ich bin dich dann los.«
Er ging voraus, und sie folgte ihm.
Von der Tiefe der Grube bis zur Erdoberfläche führten hundertundzwei Leitern von je sieben Meter Länge. Jede Leiter stand auf einem schmalen Absatz, der die Breite des Schachtes hatte, in dem ein viereckiges Loch knapp soviel Raum ließ, daß man die Schultern durchschieben konnte. Es war wie ein glatter Kamin von siebenhundert Meter Höhe zwischen der Fahrkunst und dem Förderschachte; ein feuchter, finsterer, endloser Schlauch, wo Leiter auf Leiter stand, fast gerade, in regelmäßigen Stockwerken. Ein kräftiger Mann brauchte fünfundzwanzig Minuten, um diese Riesensäule zu ersteigen. Dieser Schacht diente übrigens nur zur Not, wenn ein Unglücksfall sich ereignete.
Anfänglich stieg Katharina munter hinan. Ihre Füße waren daran gewöhnt, über die kleinen Kohlenstücke zu schreiten, die auf den Wegen umhergestreut lagen; sie litten denn auch nicht durch die viereckigen Leitersprossen, die mit Eisen belegt waren, um nicht abgenützt zu werden. Ihre durch das Rollen der Karren abgehärteten Hände faßten mutig die für sie zu dicken Pfosten der Leitern. Sie fand sogar Zerstreuung daran und vergaß ihren Kummer bei diesem unvorhergesehenen Aufstieg, dieser langen Schlange von Menschen, die sich hinaufwand, drei auf jeder Leiter, so daß der Anfang zu Tage sein mußte, wenn das Ende noch über der Senkgrube stand. Man war aber noch nicht so weit. Die ersten mochten kaum ein Drittel des Schachtes zurückgelegt haben. Niemand sprach mehr; die Füße rollten mit einem dumpfen Geräusch dahin, während die Lampen -- gleich irrenden Sternen -- in einer immer wachsenden Linie aufstiegen.
Katharina hörte hinter ihr einen
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