Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Eintracht zu leben. In ihrer Mattigkeit kam eine Regung der Zärtlichkeit über sie. Sie lächelte ihm zu und flüsterte:
    »Küsse mich!«
    Er küßte sie und legte sich neben sie hin, um zu warten, bis sie wieder gehen könne.
    »Sieh,« fuhr sie fort, »es war nicht recht von dir, daß du vorhin schriest. Ich konnte nicht weiter, wahrhaftig nicht! Ihr habt im Schlage weniger von der Hitze zu leiden; aber wenn du wüßtest, wie man in dem Gange gebraten wird!«
    »Gewiß wäre es unter den Bäumen angenehmer«, antwortete er. »Für dich ist's schlimm, auf diesem Werkplatze zu arbeiten, mein armes Mädchen, das merke ich wohl.«
    Sie war sehr gerührt, als sie ihn so einsichtig sah, daß sie die Tapfere spielte.
    »Es ist nur heute,« sagte sie; »ich bin so schwach und die Luft so schlecht ... Aber du sollst gleich sehen, ob ich eine Blindschleiche bin. Wenn man arbeiten muß, arbeitet man, nicht wahr? Ich würde lieber verenden, als die Arbeit im Stiche lassen.«
    Ein Schweigen trat ein. Er hatte den Arm um ihren Leib gelegt und drückte sie an seine Brust, damit sie keine Erkältung davontrage. Obgleich sie sich schon stark genug fühlte, zum Werkplatz zurückzukehren, vergaß sie sich doch mit Wonne an seiner Seite.
    »Ich wünschte nur, daß du freundlicher seiest«, fuhr sie leiser fort. »Man ist so glücklich, wenn man sich ein wenig liebt.«
    Sie begann still zu weinen.
    »Aber ich liebe dich; ich habe dich zu mir genommen«, schrie er.
    Sie antwortete nur mit einem Kopfschütteln. Die Männer nahmen oft Besitz von den Weibern, bloß um sie zu haben, unbekümmert darum, ob das Weib auch glücklich sei. Ihre Tränen flössen heißer; sie war jetzt trostlos, wenn sie daran dachte, welches schöne Leben sie führen würde, wenn sie einen andern Burschen gefunden hätte, dessen Arm sie stets um ihren Leib fühlte. Einen andern? In ihrer tiefen Bewegung tauchte das Bild dieses andern vor ihr auf. Doch das war vorüber; sie hatte nur mehr den Wunsch, mit diesem da zu leben, wenn er sie nur weniger rauh behandeln wolle.
    »Suche wenigstens von Zeit zu Zeit so zu sein wie jetzt«, sagte sie.
    Ein Schluchzen unterbrach ihre Worte; er küßte sie von neuem.
    »Sei nicht dumm«, sagte er. »Ich verspreche dir, daß ich artig sein will. Ich bin nicht schlimmer als ein anderer, glaube mir's!«
    Sie schaute ihn an und lächelte wieder unter Tränen. Vielleicht hatte er recht, und es gab keine glücklichen Frauen. Dann -- obgleich sie seinem Versprechen nicht traute -- überließ sie sich der Freude, ihn liebenswürdig zu sehen. Mein Gott, wenn es von Dauer sein könnte! Sie hatten sich wieder umarmt, und wie sie sich lange aneinander schlossen, wurden sie durch Schritte aufgeschreckt. Drei Kameraden, die sie hatten vorübereilen sehen, kamen näher, um zu erfahren, was es gebe.
    Alle machten sich zugleich auf den Weg. Es war bald zehn Uhr, und man nahm sein Frühstück in einem kühlen Winkel, ehe man nach dem Schlage zurückkehrte, um dort zu schwitzen. Sie hatte eben ihren »Ziegel« verzehrt und einen Schluck Kaffee dazu aus der Feldflasche getrunken, als ein Lärm, der von den entfernten Schlägen her kam, sie in Unruhe versetzte. Was gab's denn? Vielleicht wieder einen Unglücksfall? Sie erhoben sich und eilten hin. Jeden Augenblick kreuzten Häuer, Schlepperinnen, Stößerjungen ihren Weg; niemand wußte etwas und alle schrien; es mußte ein großes Unglück sein. Allmählich geriet die ganze Zeche in Aufruhr; entsetzte Schatten brachen aus den Galerien hervor, die Laternen zogen hüpfend durch die Finsternis dahin. Wo war's? Warum sagte man es nicht?«
    Plötzlich kam ein Aufseher vorüber und schrie:
    »Man durchschneidet die Kabel! Man durchschneidet die Kabel!«
    Da fuhr allen der Schreck in die Glieder. Es entstand ein wütendes Laufen durch die dunklen Galerien. Alle hatten den Kopf verloren. Weshalb durchschnitt man die Kabel? Wer durchschnitt sie, während noch Leute in der Grube waren? Das schien ihnen ungeheuer.
    Doch jetzt kam ein anderer Aufseher vorüber, dessen Geschrei sich in den Galerien verlor.
    »Die Arbeiter von Montsou durchschneiden die Kabel! Alle Leute hinaus!«
    Als Chaval begriffen hatte, hielt er Katharina jäh zurück. Der Gedanke, daß er oben den Arbeitern begegnen werde, wenn er aufsteige, lähmte ihm die Beine. So war sie denn doch eingetroffen, diese Bande, die er in den Händen der Gendarmen glaubte! Einen Augenblick dachte er daran, umzukehren und durch den Gaston-Marie-Schacht

Weitere Kostenlose Bücher