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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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beschlossen hatte.
    Etienne begriff sogleich, daß er in Jean-Bart die dreitausend Kameraden nicht beisammen haben werde, auf die er zählte. Viele glaubten, die Kundgebung sei verschoben worden, und das Schlimmste war, daß zwei oder drei Banden, die schon unterwegs waren, die gute Sache zu gefährden drohten, wenn er sich nicht an ihre Spitze stelle. Nahe an hundert Mann, die vor der Morgendämmerung aufgebrochen, mußten unter die Buchen des Waldes flüchten, um da die anderen zu erwarten. Suwarin, den der junge Mann zu Rate zog, zuckte nur mit den Achseln: zehn entschlossene Burschen taugen mehr als eine ganze Menge, meinte er. Er vertiefte sich wieder in das Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag; er wollte nicht mittun. Die Sache drohte wieder ins Gefühlvolle auszuarten, während es so einfach gewesen wäre, Montsou in Brand zu stecken. Als Etienne das Haus verließ, bemerkte er Rasseneur, der ganz blaß am eisernen Ofen saß, während sein Weib, das in seinem ewigen schwarzen Kleid noch länger schien, in scharfen, wenn auch höflichen Worten auf ihn einsprach.
    Maheu war der Ansicht, man müsse Wort halten. Ein solches Stelldichein sei heilig. Allein die Nacht hatte das Fieber aller beruhigt; er fürchtete jetzt ein Unglück und erklärte, man habe die Pflicht, sich am Orte der Versammlung einzufinden, um die Kameraden in ihrem guten Rechte zu unterstützen. Frau Maheu nickte zustimmend. Etienne wiederholte selbstgefällig, man müsse revolutionär vorgehen, ohne jemandes Leben anzutasten. Vor dem Aufbruch wies er seinen Brotanteil zurück, den man ihm gestern samt einer Flasche Wachholderbranntwein gegeben hatte; aber er trank drei Gläschen nacheinander: das sei gegen die Kälte, meinte er. Er nahm sogar in der Feldflasche einen Schnapsvorrat mit. Alzire sollte die Kinder bewachen. Der alte Bonnemort blieb zu Bette; er war am gestrigen Tage zu viel herumgelaufen, und darum taten ihm die Beine weh.
    Aus Vorsicht gingen nicht alle zusammen. Johannes war schon längst verschwunden. Maheu und sein Weib gingen auf Seitenwegen in der Richtung nach Montsou, während Etienne seinen Weg nach dem Walde nahm, um dort die Kameraden zu treffen. Unterwegs holte er eine Schar Weiber ein, unter denen er die Brulé und die Levaque erkannte; sie aßen Kastanien, welche die Mouquette gebracht hatte, und verschlangen auch die Schalen der Frucht, »damit das Zeug besser im Magen halte«. Im Walde fand Etienne niemanden; die Kameraden waren schon in Jean-Bart. Da begann er zu laufen und traf zu Jean-Bart gerade in dem Augenblicke ein, als Levaque mit etwa hundert Leuten in den Werkshof eindrang. Von allen Seiten kamen Grubenarbeiter; Maheu und sein Weib auf der Heerstraße, die Weiber querfeldein, alle in regellosen Haufen ohne Führer, ohne Waffen, in natürlicher Weise nach diesem Punkte strömend wie ein angeschwollenes Wasser, das die Hänge hinabläuft. Etienne bemerkte Johannes, der einen Brückensteg erklommen hatte und sich dort festsetzte, als sitze er im Theater. Er beschleunigte seinen Lauf und betrat mit den ersten den Werkhof. Es waren noch kaum dreihundert Leute da.
    Eine Stockung trat ein, als Deneulin oben auf der Treppe erschien, die zum Aufnahmesaale führte.
    »Was wollt ihr?« fragte er mit lauter Stimme.
    Nachdem er die Kalesche hatte verschwinden sehen, aus welcher seine Töchter ihm noch zugelächelt hatten, war er --- von einer unbestimmten Unruhe ergriffen --- nach der Grube zurückgekehrt. Er fand jedoch daselbst alles in Ordnung; die Leute waren angefahren, die Förderung war im Zuge. Er beruhigte sich wieder und plauderte eben mit dem Oberaufseher, als man ihm meldete, daß die Streikenden nahten. Er eilte zu einem Fenster des Sichtungsschuppens und empfand angesichts dieser wachsenden Menge, die den Werkhof überflutete, sogleich das Gefühl seiner Ohnmacht. Wie sollte er diese auf allen Seiten offenen Gebäude verteidigen? Er hätte kaum zwanzig seiner Arbeiter um sich scharen können. Er war verloren.
    »Was wollt ihr?« wiederholte er, bleich von verhaltener Wut eine Anstrengung machend, um seinem Unglück mutig die Stirne zu bieten.
    In der Menge entstand ein Drängen und Brummen. Schließlich trat Etienne hervor und sagte:
    »Mein Herr, wir sind nicht gekommen, um Ihnen ein Leid zuzufügen. Allein die Arbeit muß überall eingestellt werden.«
    Deneulin nannte ihn rundheraus einen Schwachkopf.
    »Glauben Sie, mir Gutes zu tun, wenn Sie die Arbeit bei mir behindern? Das ist geradeso gut, als wenn

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