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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Nutzlosigkeit von allem, der ewige Schmerz des Daseins, die Scham, vor sich selbst, weil er diese Frau noch immer anbetete und nach ihr verlangte, des Schmutzes ungeachtet, in den er sie versinken ließ.
    Unter dem Fenster brach das Geheul mit erneuerter Heftigkeit los.
    »Brot! Brot! Brot!«
    »Tröpfe!« murmelte Herr Hennebeau zwischen den Zähnen.
    Er hörte, wie sie ihn beschimpften wegen seiner fetten Bezüge, wie sie ihn einen dickwanstigen Tagedieb nannten, ein schmutziges Schwein, das sich mit feinen Sachen den Magen verdarb, während der Arbeiter Hungers starb. Die Weiber hatten die Küche entdeckt, und jetzt folgte ein Sturm von Schmähungen gegen den bratenden Fasan und gegen die Soßen, deren fetter Geruch ihnen den leeren Magen umdrehte. Diese schmutzigen Spießbürger! Man werde sie schon mit Champagner und Trüffeln mästen, daß ihnen die Därme platzen!
    »Brot! Brot! Brot!«
    »Tröpfe!« wiederholte Herr Hennebeau, »bin ich etwa glücklich?«
    Ein Zorn erfaßte ihn gegen diese Leute, die nicht begriffen. Gern hätte er ihnen seine fetten Bezüge überlassen für ihre dicke Haut und für die Leichtigkeit, mit der sie sich paarten und dann sorglos wieder auseinandergingen. Warum konnte er sie nicht an seinen Tisch setzen und sie mit seinem Fasan mästen, während er fortging, sich's hinter den Hecken gütlich tat, die Dirnen umwarf, unbekümmert darum, wer sie vor ihm umgeworfen hatte! Er würde alles hingegeben haben: seine Erziehung, seinen Wohlstand, seinen Luxus, seine Direktorgewalt, wenn er nur einen Tag der letzte dieser Elenden, die ihm gehorchten, hätte sein können, frei verfügend über sein Fleisch, Hallunke genug, um sein Weib zu ohrfeigen und sein Vergnügen bei den Nachbarinnen zu suchen. Er wünschte sich auch, Hunger zu leiden, einen leeren Bauch zu haben, den Magen von Krämpfen zusammengezogen, die das Gehirn erschüttern und schwindelig machen: vielleicht würde dies sein ewiges Weh getötet haben. Ach, als Tier leben zu können, nichts zu besitzen, mit der häßlichsten und schmutzigsten Schlepperin durch die Getreidefelder zu streifen und sich Befriedigung zu holen!
    »Brot! Brot! Brot!«
    Da verlor er die Geduld und schrie in den Lärm hinein.
    »Brot? Ihr Tröpfe! Ist denn das alles!«
    Er hatte zu essen und stöhnte dennoch unter einem ewigen Leid. Sein zerstörtes Eheleben, sein ganzes verwüstetes Leben: es stieg ihm wie ein Todesröcheln in der Kehle empor. Wenn man auch Brot hatte, so war damit noch nicht alles erreicht. Wer war der Tölpel, der das irdische Glück in der Teilung des Reichtums suchte? Diese Hohlköpfe von Revolutionären konnten die Gesellschaft umstürzen und eine neue aufbauen; sie würden aber der Menschheit keine neue Freude bieten, ihr kein einziges Weh nehmen können, indem sie jedem seinen Brotanteil beschnitten. Ja, sie würden das Unglück der Erde nur ausbreiten, daß schließlich selbst die Hunde verzweifelt heulten, weil man sie aus der ruhigen Zufriedenheit der Instinkte gerissen und zur Schmerzenshöhe der unbefriedigten Leidenschaften hob. Nein, das einzige Glück ist, nichts zu sein; oder, wenn man schon etwas ist, der Baum zu sein, der Stein zu sein, noch weniger: das Sandkorn, das nicht bluten kann unter dem Tritte der Menschen.
    In dieser Verbitterung wegen seines Leides traten Herrn Hennebeau Tränen in die Augen und rannen heiß über seine Wangen. Die Straße lag schon in Dunkel gehüllt, als Steine gegen die Stirnwand des Hauses zu fliegen begannen. Ohne Zorn gegen diese Hungrigen und nur durch die brennende Wunde seines Herzens wütend gemacht, fuhr er fort unter Tränen zu stammeln:
    »Diese Tröpfe! Diese Tröpfe!«
    Doch der Schrei der leeren Bäuche beherrschte alles; ein Geheul erhob sich mit Sturmesgewalt, das alles hinwegfegt:
    »Brot! Brot! Brot!«
     

Sechstes Kapitel
    Ernüchtert durch die Maulschellen Katharinas war Etienne an der Spitze der Kameraden geblieben. Doch während er sie mit heiserer Stimme befehligte und auf Montsou warf, machte sich in seinem Innern eine andere Stimme vernehmbar, die Stimme der Vernunft, die erstaunt fragte, warum alldas geschehe? Er hatte nichts von alldem gewollt; wie konnte es geschehen, daß er, der zu dem Zwecke nach Jean-Bart gezogen war, um mit Überlegung zu handeln und ein Unglück zu verhüten, von Gewalttat zu Gewalttat schreitend den Tag mit der Belagerung des Direktionshauses beschloß?
    Doch hatte er soeben Halt! gerufen. Er hatte anfänglich nur die Absicht gehabt, die

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