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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nichts machen; suchen Sie sich zu wehren, wie Sie können. Ich rate Ihnen sogleich heimzukehren, denn die Kerle fordern schon wieder Brot. Hören Sie?«
    In der Tat hatte der Lärm wieder eingesetzt, und Maigrat glaubte aus dem Geschrei seinen Namen herauszuhören. Es war unmöglich heimzukehren; sie würden ihn in Stücke zerrissen haben. Anderseits quälte ihn der Gedanke an seinen Ruin. Er preßte sein Gesicht an die Glasscheiben der Tür, schwitzend, zitternd nach dem Unglück spähend, während die Grégoires sich entschlossen, in den Salon zu gehen.
    Herr Hennebeau bemühte sich, ruhig zu scheinen und seine Hausherrnpflichten zu erfüllen. Allein er bat seine Gäste vergebens, Platz zu nehmen. Das verschlossene, verrammelte Zimmer, wo zwei Lampen brannten, obgleich es noch nicht völlig finster war, füllte sich mit Entsetzen bei jedem neuen Geheul, das von der Straße hereintönte. Das Wutgeschrei der Menge ward von den Teppichen und Vorhängen zu einem Schnarren gedämpft, das nur noch beunruhigender wie eine unbestimmte und furchtbare Drohung klang. Man versuchte indes ein Gespräch zu führen, das immer wieder auf diesen unbegreiflichen Aufruhr gelenkt wurde. Herr Hennebeau war erstaunt, nichts vorausgesehen zu haben; seine Polizei war so schlecht beschaffen, daß er besonders auf Rasseneur erzürnt war, dessen abscheulichen Einfluß er zu erkennen glaubte. Übrigens würden die Gendarmen kommen; es sei unmöglich, daß man ihn so verlasse. Die Grégoires dachten nur an ihre Tochter; die liebe Kleine erschrak so leicht; vielleicht war die Kutsche angesichts der Gefahr nach Marchiennes zurückgekehrt. Noch eine Viertelstunde dauerte dieses Harren, immer peinlicher gestaltet durch das Geheul von der Straße, durch das Aufschlagen der Steine an die geschlossenen Fensterläden, das so hohl klang wie ein Trommelschlag. Die Lage war unerträglich geworden; Herr Hennebeau sagte, er wolle hinausgehen, die Schreihälse verjagen und dem Wagen entgegengehen. Da lief Hippolyte schreiend herein.
    »Gnädiger Herr! gnädiger Herr! Man mordet die gnädige Frau!«
    Der Wagen hatte wegen der drohenden Gruppen nicht durch das Gäßchen von Réquillart kommen können. Negrel hatte an seinem Gedanken festgehalten: die hundert Meter, die sie noch vom Hause trennten, zu Fuße zurückzulegen, dann an die kleine Pforte zu klopfen, die in den Garten führte; der Gärtner werde sie hören, oder sonst jemand da sein. Anfänglich, ging auch die Sache ganz gut; Frau Hennebeau und die Fräulein klopften schon an das Pförtchen, als einzelne Weiber, die von der Sache Wind bekommen hatten, sich in das Gäßchen stürzten. Da ging alles schief. Das Pförtchen wurde nicht geöffnet, und Negrel hatte vergebens versucht, es mit der Schulter einzurennen. Die Flut der Weiber ward immer größer, er fürchtete niedergetreten zu werden und faßte den verzweifelten Entschluß, die Damen nach dem Haupteingang zu drängen, um mitten durch die Belagerer hindurch die Auffahrt zu erreichen. Allein bei diesem Versuch kam es zu einem Gedränge; man ließ sie nicht mehr los; eine heulende Bande trieb sie vor sich her, während die Menge von rechts und von links zusammenströmte, ohne die Sache noch zu begreifen, nur erstaunt über diese Damen in Toilette, die mitten in das Getümmel geraten waren. In diesem Augenblicke ward die Verwirrung so groß, daß einer jener Zufälle eintrat, die ewig unerklärlich bleiben. Luzie und Johanna, die bis zur Einfahrt vorgedrungen waren, schlüpften durch die Tür, welche die Kammerfrau halb geöffnet hatte, und es gelang auch Frau Hennebeau, ihnen zu folgen; hinter ihnen trat endlich auch Negrel ins Haus und schob die Riegel vor, in der Überzeugung, daß er Cäcilie zuerst habe eintreten sehen. Sie war nicht mehr da; sie war unterwegs verschwunden, von einer solchen Furcht fortgerissen, daß sie dem Hause den Rücken gekehrt und sich selbst in die größte Gefahr gestürzt hatte.
    Sogleich ertönte das Geschrei:
    »Es lebe die Soziale! Tod den Bürgern!«
    Da ihr Antlitz verschleiert war, wurde sie von einigen, die ferner standen, für Frau Hennebeau gehalten. Andere wieder nannten eine Freundin der Direktorin, die junge Gattin eines benachbarten Fabriksherrn, den seine Arbeiter verabscheuten. Es war übrigens gleichviel; ihr seidenes Kleid, ihr Pelzmantel, ihr Federhut erbitterten die Menge. Sie duftete nach wohlriechenden Essenzen; sie hatte eine Uhr und die feine Haut einer Müßiggängerin, welche die Kohle nicht

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