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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gesellschaftlichen Werkshöfe zu schützen, wo die Bande alles hatte zerstören wollen. Jetzt, da die ersten Steine gegen das Haus flogen, sann er darüber nach, gegen welche berechtigte Beute er die Bande loslassen solle, um größeres Unglück zu verhüten. Er konnte nichts ausfindig machen. Wie er so allein und machtlos mitten auf der Straße stand, rief ihn jemand, ein Mann, der auf der Schwelle der Tisonschen Schenke stand, deren Besitzerin sich beeilte, die Fensterläden zu schließen, so daß nur die Türe offen blieb.
    »Ja, ich bin's, höre!«
    Es war Rasseneur. An dreißig Männer und Weiber, fast sämtlich aus dem Dorfe der Zweihundertvierzig, die am Morgen zu Hause geblieben und am Abend nach Montsou gekommen waren, um Nachrichten einzuholen, hatten beim Herannahen der Streikenden diese Schenke besetzt. Zacharias saß mit Philomene an einem Tische, weiterhin Pierron mit seiner Frau mit dem Rücken zur Türe, ihre Gesichter verbergend. Übrigens trank niemand; man hatte hier bloß Zuflucht gesucht.
    Etienne erkannte Rasseneur und wandte sich ab, als dieser hinzufügte:
    »Mein Anblick ist dir unbequem, nicht wahr? Ich hatte dich gewarnt; jetzt beginnen die Verdrießlichkeiten. Ihr könnt jetzt Brot verlangen, man wird euch Blei geben.«
    Da wandte Etienne sich wieder um. und sagte:
    »Unbequem sind mir die Feiglinge, die mit gekreuzten Armen zusehen, wie wir unsere Haut zu Markte tragen.«
    »Willst du denn plündern da drüben?« fragte Rasseneur.
    »Ich will mit meinen Kameraden bleiben bis zu Ende und will -- wenn es sein muß -- mit ihnen zugrunde gehen.«
    In verzweifelter Stimmung kehrte Etienne unter die Menge zurück, bereit mit ihr zu sterben. Auf der Straße sah er drei Kinder Steine werfen; er versetzte ihnen kräftige Fußtritte und rief, um auch den Kameraden Einhalt zu gebieten, daß es zu nichts führe, Fensterscheiben zu zerschlagen.
    Bebert und Lydia, die sich zu Johannes gesellt hatten, lernten von diesem die Schleuder handhaben. Jeder schleuderte einen Kiesel, und es galt eine Wette, wer den größten Schaden verursache. Lydia hatte einen ungeschickten Wurf getan und einem Weib in der Menge den Kopf getroffen; die beiden Jungen hinter ihr hielten sich die Seiten vor Lachen. Bonnemort und Mouque saßen auf einer Bank und schauten ihnen zu. Die angeschwollenen Beine trugen Bonnemort so mühsam, daß er nur schwer sich hatte hierher schleppen können; man erfuhr übrigens nicht, welche Neugier ihn hierher geführt hatte, denn er hatte wieder sein erdfahles, verschlossenes Gesicht wie an den Tagen, da man kein Wort aus ihm herausbringen konnte.
    Übrigens gehorchte niemand mehr Etienne. Trotz seiner Weisungen dauerte der Steinhagel fort, und er war erstaunt und erschreckt beim Anblick dieser Tiere, denen er den Maulkorb abgenommen; sie waren so schwer in Bewegung zu bringen und waren nachher so furchtbar, von einer wilden Beharrlichkeit in ihrer Wut. Es war das alte vlämische Blut, dick und ruhig, das Monate brauchte, um sich zu erwärmen, und sich dann in furchtbare Ausschreitungen stürzte und nichts hören wollte, bis das Tier sich an seinen Grausamkeiten berauscht hatte. In seiner südlichen Heimat flammte die Menge rascher auf, aber sie tat weniger. Er mußte mit Levaque raufen, um ihm die Hacke zu entreißen; er wußte nicht, wie er die Maheu zurückhalten solle, die mit beiden Händen Kieselsteine schleuderten. Besonders die Weiber erschreckten ihn, die Levaque, die Mouquette und die anderen, die von einer mörderischen Wut besessen waren, die Zähne fletschten und mit den Fingernägeln drohten, ein wahres Hundegebell anstimmten, immer aufgestachelt von der Brulé, die mit ihrer langen, hageren Gestalt sie überragte und beherrschte.
    Da trat ein plötzlicher Stillstand ein; eine kurze Überraschung bewirkte jenen Augenblick der Ruhe, den Etienne mit seinen Bitten nicht hatte erreichen können. Es waren ganz einfach die Grégoire, die sich entschlossen hatten, vom Notar Abschied zu nehmen und sich quer über die Straße zum Direktor zu begeben; sie schienen so ruhig, sie sahen so ganz darnach aus, als glaubten sie nur an einen Spaß von Seiten ihrer braven Grubenarbeiter, deren Ergebenheit sie seit einem Jahrhundert nährte, daß die Streikenden in der Tat erstaunt im Steinwerfen innehielten, um die braven alten Leute nicht zu treffen, die so unvermutet auf der Straße auftauchten. Sie ließen ihnen Zeit, in den Garten einzutreten, die Auffahrt hinaufzugehen und an der verrammelten

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