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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Cäcilie aus dem Heu hervor; diese wehrte sich in der Meinung, der Zug der Wilden dauere noch immer an, und wiederholte, sie wolle nicht sehen. Schließlich nahmen alle von neuem ihre Plätze im Wagen ein. Negrel, der wieder zu Pferde gestiegen war, hatte den Einfall, man solle durch die Gäßchen von Réquillart zurückkehren.
    »Fahren Sie langsam,« empfahl er dem Kutscher, »denn der Weg ist sehr schlecht. Wenn Gruppen der Bande Sie hindern sollten, dort weiterhin in die Heerstraße einzulenken, halten Sie hinter der alten Grube, und wir kehren zu Fuß durch die kleine Gartentüre zurück, während Sie Wagen und Pferde irgendwo unter dem Schuppen einer Herberge unterbringen.
    Sie fuhren ab. Die Bande war schon fern und ergoß sich nach Montsou. Die Bevölkerung des Ortes war in Schrecken und Aufregung versetzt, seitdem sie die Gendarmen und Dragoner zweimal hatte durchziehen sehen. Furchtbare Geschichten waren in Umlauf: man sprach von geschriebenen Maueranschlägen, die den Bürgern drohten, daß ihnen der Bauch aufgeschlitzt werde. Niemand hatte diese Maueranschläge gelesen, und dennoch wußte man ganze Sätze daraus wörtlich anzuführen. Besonders beim Notar war die Angst bis zum Gipfelpunkte gestiegen; er hatte mit der Post einen unterschriftslosen Brief erhalten, worin man ihm mitteilte, daß in seinem Keller ein Faß Pulver vergraben sei, das ihn in die Luft sprenge, wenn er sich nicht für das Volk erkläre.
    Die Grégoire, die bei dem Notar zu Besuche waren, sprachen eben über diesen Brief, in dem sie den Streich eines Spaßvogels erblicken zu sollen glaubten, als der Einzug der Bande das Haus in den höchsten Schrecken versetzte. Die Grégoire lächelten nur. Sie schoben ein wenig den Vorhang weg, schauten hinaus und erklärten, es bestehe keinerlei Gefahr, und alles werde harmlos enden. Es schlug fünf Uhr; sie hatten gerade noch Zeit zu warten, bis die Straße frei sein werde, um zu den Hennebeau hinüberzugehen, wo sie essen sollten und Cäcilie sie sicherlich schon erwartete. Allein niemand in Montsou schien ihre Vertrauensseligkeit zu teilen; entsetzte Leute rannten durch die Straßen. Türen und Fenster wurden eilig geschlossen. Sie sahen Maigrat hastig seinen Laden schließen und mit Eisenstangen verwahren; er war so bleich und zitterte dermaßen, daß seine kleine, schwächliche Frau genötigt war, die Schlösser vorzulegen.
    Die Bande hatte vor dem. Hause des Direktors haltgemacht, und es ertönte der Schrei:
    »Brot! Brot! Brot!«
    Herr Hennebeau stand am Fenster, als Hippolyte eintrat, um die Fensterläden zu schließen, damit die Scheiben nicht eingeschlagen wurden. Er schloß auch die im Erdgeschosse, dann ging er in den ersten Stock hinauf; man hörte das Kreischen der Riegel und das Zuschlagen der Fensterläden. Unglücklicherweise konnte man nicht auch das breite Fenster der unterirdisch gelegenen Küche schließen; man konnte von der Straße die hell lodernden Feuer unter den Schüsseln und unter dem Spieße sehen.
    Herr Hennebeau, der die Vorgänge sehen wollte, stieg mechanisch in den zweiten Stock hinauf nach dem Zimmer Pauls. Dieses war am besten gelegen; es gestattete einen Ausblick auf die Straße bis zu den Werkhöfen der Gesellschaft. Herr Hennebeau stand hinter den Vorhängen verborgen und überschaute von da die Menge. Allein dieses Zimmer hatte ihn von neuem in Erregung gebracht, wenngleich der Toilettetisch jetzt gesäubert und in Ordnung gebracht war und das Bett hinter den sorgfältig geschlossenen Vorhängen sein kühles, nüchternes Aussehen hatte. Seine große Wut vom Nachmittag, die wilde Schlacht, die er in der tiefen Stille seiner Einsamkeit dem Bette geliefert: sie endeten jetzt in einer unermeßlichen Müdigkeit. Sein Wesen war jetzt wie dieses Zimmer, abgekühlt, reingefegt von dem Unflat des Morgens, zurückgekehrt zur gewohnten vornehmen Haltung. Was sollte ein Skandal auch nützen? Hatte sich bei ihm etwas geändert? Seine Frau hatte ganz einfach einen Liebhaber mehr; daß sie ihn in der Familie gewählt hatte, war kaum ein erschwerender Umstand; es war vielleicht besser so; sie wahrte wenigstens den Schein. Er bemitleidete sich selbst, wenn er sich seiner unsinnigen Eifersucht erinnerte. Wie lächerlich war es, dieses Bett mit Faustschlägen zu bearbeiten! Er hatte einen andern Mann geduldet, folglich werde er auch diesen dulden. Man werde ihn ein klein wenig mehr verachten: das ist alles. Eine furchtbare Bitternis vergiftete ihm den Mund, das Gefühl der

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