Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
und Negrel sprang galant aus dem Sattel; während die Bäuerin, ganz verlegen über diesen vornehmen Besuch dienstwillig herbeieilte, um ein Tafeltuch aufzulegen. Allein Lucie und Johanna wollten die Kuh melken sehen; man ging also mit den Schalen in den Kuhstall; die Landpartie war vollständig; man lachte viel darüber, daß man in der Streu versank.
    Frau Hennebeau -- mit der Miene liebenswürdiger Mütterlichkeit -- nippte an der Milchschale, als ein seltsam dumpfer Lärm, der von außen kam, sie beunruhigte.
    »Was ist denn?« fragte sie.
    Der Stall, am Wegsaume erbaut, hatte ein breites Tor, weil er zugleich als Heuboden diente. Die Mädchen streckten schon die Köpfe zum Tor hinaus und waren nicht wenig erstaunt, als sie links eine dunkle, heulende Masse auf der Straße von Vandame heranziehen sahen.
    »Teufel!« brummte Negrel, der ebenfalls hinausgegangen war, »sollten unsere Schreihälse schließlich bösartig werden?«
    »Es sind vielleicht wieder die Bergleute«, sagte die Bäuerin. »Sie sind schon zweimal vorübergezogen. Die Dinge scheinen schief zu gehen; sie sind die Herren im Lande.«
    Sie hatte jedes Wort mit Vorsicht ausgesprochen und beobachtete die Wirkung ihrer Worte in den Gesichtern; als sie den Schrecken aller sah, die tiefe Angst, in welche die Gesellschaft durch diese Begegnung versetzt wurde, beeilte sie sich hinzufügen:
    »Die erbärmlichen Lumpenkerle!«
    Als Negrel sah, daß es zu spät sei, in den Wagen zu steigen und Montsou wieder zu erreichen, befahl er dem Kutscher, die Kalesche rasch auf den Hof der Bauernwirtschaft zu bringen, wo das Gespann hinter einem Schuppen verborgen blieb. Ebendaselbst band er sein Reitpferd an, das bisher ein Junge am Zügel gehalten hatte. Als er zurückkam, fand er seine Tante und die Mädchen außer sich vor Schrecken und bereit, der Bäuerin zu folgen, die ihnen vorschlug, in ihrer Wohnung Zuflucht zu suchen. Allein er war der Ansicht, daß man hier mehr in Sicherheit sei und daß niemand sie auf diesem Heuboden suchen werde. Indes schloß das Tor sehr schlecht und hatte solche Risse, daß man durch die wurmstichigen Bretter und Pfosten die Straße sehen konnte.
    »Mut! Mut!« sagte er, »wir werden unser Leben teuer verkaufen.«
    Dieser Scherz vermehrte noch die Furcht. Der Lärm ward immer größer; man sah noch nichts; über die leere Straße schien ein Sturmwind zu wehen, jenen plötzlich aufspringenden Winden gleich, die den heftigen Ungewittern vorangehen.
    »Nein, nein, ich will nicht schauen«, sagte Cäcilie und verkroch sich hinter das Heu.
    Frau Hennebeau war sehr bleich; von einer Wut erfaßt gegen diese Leute, die ihr ein Vergnügen verdarben, hielt sie sich im Hintergrunde, mißtrauisch und angewidert ausspähend, während Lucie und Johanna --- trotz ihrer Furcht --- durch die Spalten des Tores nach der Straße lugten, um nichts von dem heraufziehenden Schauspiel zu verlieren.
    Das donnerähnliche Rollen näherte sich, die Erde erzitterte; vorauf lief Johannes, immer in sein Horn blasend.
    »Nehmen Sie Ihre Riechfläschchen, meine Damen, der Schweiß des Volkes zieht vorüber«, sagte Negrel, der trotz seiner republikanischen Überzeugungen es liebte, vor den Damen den Pöbel zu verspotten.
    Doch sein Witzwort ging in einem Orkan von Schreien und Gesten unter. Die Weiber waren herangekommen, nahezu tausend Weiber mit wirren Haaren, in Lumpen gehüllt, welche die nackte Haut sehen ließen, die Nacktheiten von Weibern, die es müde geworden, Hungerleider in die Welt zu setzen. Einige hielten ihr kleines Kind auf den Armen und schwangen es wie ein Banner der Trauer und der Rache. Andere -- die jüngeren, mit den geschwellten Brüsten von Kriegerinnen -- schwangen Stöcke; während die älteren -- scheußliche Gestalten -- so laut heulten, daß die Sehnen ihrer fleischlosen Hälse zu reißen drohten. Dann kamen die Männer, zweitausend Wütende, Stößer, Häuer, Handlanger, eine dichte Masse, die so gedrängt heranrückte, daß man die verschossenen Beinkleider, die zerfetzten Jacken nicht unterscheiden konnte, weil sie in der nämlichen erdfarbenen Einförmigkeit untergingen. Die Augen glühten; man sah bloß die schwarzen Mundöffnungen, welche die Marseillaise sangen, deren Strophen sich in einem wirren Geheul verloren, begleitet von dem Geklapper der Holzschuhe auf dem hartgefrornen Boden. Über den Köpfen wurde zwischen den hochgesteckten Eisenstangen eine Hacke aufrecht getragen; und diese einzige Hacke, gleichsam die Standarte

Weitere Kostenlose Bücher