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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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der Bande, glänzte unter dem hellen Himmel wie das Beil einer Guillotine.
    »Welch furchtbare Gesichter!« stammelte Frau Hennebeau.
    Negrel brummte zwischen den Zähnen:
    »Der Teufel soll mich holen, wenn ich auch nur einen von ihnen erkenne! Woher kommen denn die Banditen?«
    In der Tat: die Wut, der Hunger, die zwei Leidensmonate, dieser tolle Zug durch die Gruben, -- sie hatten die sonst so ruhigen Gesichter der Bergleute von Montsou verlängert wie die Kinnladen wilder Tiere. In diesem Augenblicke ging die Sonne unter; die letzten Strahlen -- von einer dunklen Purpurfarbe -- tauchten die Ebene in einen blutroten Schein. Die Straße schien einen Strom von Blut fortzuwälzen; die Weiber, die Männer stürmten vorbei und schienen von Blut zu triefen wie die Metzger bei der Arbeit.
    »Herrlich!« flüsterten Lucie und Johanna, in ihrem künstlerischen Geschmack von diesem furchtbaren Schauspiel ergriffen.
    Sie erschraken aber doch und flüchteten zu Frau Hennebeau, die sich an eine Tränke gelehnt hatte. Der Gedanke, daß ein Blick durch diese losen Planken genügte, um hingemordet zu werden, ließ sie erstarren. Auch Negrel, sonst sehr tapfer, fühlte sein Blut aus den Wangen entweichen; er ward von einer Furcht ergriffen, die mächtiger war als sein Wille, von einem Entsetzen, wie es zuweilen über uns kommt, wir wissen nicht woher. Cäcilie hockte im Heu und wagte sich nicht zu rühren. Die anderen konnten die Augen nicht wegwenden und schauten gegen ihren Willen auf die Straße hinaus.
    Es war das blutigrote Gespenst der Revolution, die sie alle hinwegfegen werde an einem blutigen Abend dieses zur Neige gehenden Jahrhunderts. Ja, eines Abends wird das losgelassene, zügellose Volk so über die Straßen rennen und vom Blute der Spießbürger triefen, abgeschlagene Köpfe herumtragen, das Gold der ausgeleerten Schränke verstreuen. Die Weiber werden heulen, die Männer gleich den Wölfen die Kinnladen weit aufreißen, um alles zu zerfleischen. Jawohl, es werden dieselben Lumpen sein, dasselbe Geklapper von plumpen Holzschuhen, dieselbe greuliche Menge mit schmutziger Haut, verpestetem Atem, die alte Welt hinwegfegend mit ihrem barbarischen, alles überflutenden Drängen und Jagen. Brände werden aufflammen, in den Städten wird kein Stein auf dem andern bleiben, man wird zu dem wilden Leben in den Wäldern zurückkehren nach der großen Brunst, nach der großen Schwelgerei, in welcher die Armen in einer Nacht die Weiber der Reichen abmergeln und den Wein der Reichen austrinken. Es wird nichts mehr geben, keinen Sou von den Reichtümern, keinen Titel von den errungenen Stellungen bis zu dem Tag, wo vielleicht eine neue Erde erblüht. -- Ja, diese Dinge waren es, die über die Straße dahinfegten wie eine Naturgewalt, deren Wehen ihre Gesichter streifte.
    Ein ungeheurer Schrei erhob sich und übertönte die Marseillaise:
    »Brot! Brot! Brot!«
    Lucienne und Johanna schmiegten sich in ihrem Entsetzen an Frau Hennebeau, während Negrel sich vor sie hinstellte, wie um sie mit seinem Leibe zu schützen. Sollte denn noch diesen Abend die alte Welt aus den Fugen gehen? Was sie sahen, vollendete ihre Bestürzung. Die Bande war vorüber, es kamen nur noch einige Nachzügler, unter diesen die Mouquette. Sie blieb immer zurück, um zu spähen, ob Bürgersleute vor den Türen ihrer Gärten oder an den Fenstern ihrer Häuser erscheinen würden; und da sie, wenn sie solche erblickte, ihnen nicht ins Gesicht speien konnte, zeigte sie ihnen, was ihr als der Gipfel der Verachtung galt. Ohne Zweifel hatte sie jetzt auch wieder einen Bürger bemerkt, denn plötzlich streifte sie die Röcke auf und streckte die Hinterbacken hin, zeigte ihren riesigen Hintern, nackt in dem letzten Aufflackern der Sonne. Dieses Hinterteil hatte nichts Widerliches; die Szene war eher grausam als lächerlich.
    Alles verschwand; der Strom wälzte sich auf Montsou hin die schmalen Wege entlang, zwischen den niedrigen, bunt getünchten Häusern. Man ließ den Wagen wieder aus dem Hofe fahren, allein der Kutscher wollte nicht dafür bürgen, daß er seine Herrin und die Fräulein ohne Hindernis heimbringe, wenn die Streikenden die Straße besetzt hielten. Das Schlimmste war, es gab keinen andern Weg.
    »Wir müssen aber heimkehren, das Essen erwartet uns«, sagte Frau Hennebeau außer sich vor Angst. »Diese schmutzigen Hallunken rumoren schon wieder an einem Tage, an dem ich Gäste habe. Solchem Gesindel soll man Gutes tun.«
    Lucie und Johanna zogen

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