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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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seine Hacke. Allein das Unbehagen wollte nicht weichen. Dieser Leichnam war jetzt ein Hindernis auf der Straße und ein Schutz für den Laden. Viele waren zurückgewichen, als beschwichtige sie alle diese Sättigung. Maheu verharrte in ernstem Schweigen, als er plötzlich eine Stimme vernahm, die ihm ins Ohr flüsterte, er solle flüchten. Als er sich umwandte, erkannte er Katharina, noch immer in ihre alte Mannsjacke gehüllt, schwarz und keuchend. Er drängte sie zurück, wollte sie nicht hören und drohte ihr mit Schlägen. Sie machte eine verzweifelte Gebärde, zögerte einen Augenblick und eilte dann zu Etienne.
    »Flüchte! Rette dich! Die Gendarmen kommen!«
    Auch er jagte sie fort und beschimpfte sie; denn er fühlte noch die Schmach nach ihren Backenstreichen. Aber sie wich nicht; sie zwang ihn, die Hacke wegzuwerfen; sie faßte ihn mit beiden Armen und zog ihn fort mit unwiderstehlicher Gewalt.
    »Ich sage dir, die Gendarmen sind da! ... So höre mich doch! Chaval hat sie aufgesucht und führt sie hierher, wenn du es wissen willst. Mich hat es angeekelt, und darum bin ich gekommen ... Lauf! Ich will nicht, daß sie dich fassen.«
    Sie führte ihn fort gerade in dem Augenblicke, als ein schwerer Galopp in der Ferne die Straße erschütterte. Sogleich ertönte ein Schrei: »Die Gendarmen! Die Gendarmen!« Es folgte ein allgemeines Ausreißen, eine so tolle Flucht, daß in zwei Minuten die Straße frei und leer war, wie von einem Orkan reingefegt. Nur Maigrats Leiche bildete einen dunklen Fleck auf der weißen Erde. Vor der Schenke Tisons war niemand geblieben als Rasseneur, der erleichtert, froh aufatmend dem leichten Sieg der Säbel zujubelte; während in dem verlassenen, verödeten Montsou, in der Stille der verschlossenen Häuser die Spießbürger sich nicht zu rühren wagten, in Angstschweiß gebadet waren und mit den Zähnen klapperten. Die Ebene war in dichte Nacht gehüllt, nur die Hochöfen und die Koksöfen flammten unter dem düsteren Nachthimmel. Der schwere Galopp der Gendarmen kam immer näher; sie tauchten in einer dunklen Masse auf, ohne daß man sie unterscheiden konnte. Hinter ihnen, ihrem Schutze anvertraut, kam endlich der Karren des Pastetenbäckers von Marchiennes; und ein Junge sprang herab und brachte die von der Köchin der Frau Hennebeau bestellten Hülsen zum spanischen Wind.

Teil 6

Erstes Kapitel
    Es verfloß noch die erste Hälfte des Monats Feber; eine finstere Kälte verlängerte den harten, für die Armen und Elenden so erbarmungslosen Winter. Die Obrigkeiten waren wieder erschienen: der Präfekt von Lille, ein Staatsanwalt, ein General. Die Gendarmen hatten nicht genügt; es war Militär gekommen, ein ganzes Regiment, dessen Leute von Beaugnies bis Marchiennes kampierten. Militärposten bewachten die Gruben; vor jeder Maschine standen Soldaten. Das Haus des Direktors, die Werkhöfe der Gesellschaft, selbst die Häuser einiger Bürger starrten von Bajonetten. Man hörte auf dem Straßenpflaster nur mehr den Tritt der Patrouillen. Auf dem Hügel von Voreux stand unablässig eine Schildwache; es war gleichsam ein Auslug über die platte Ebene, dem eisigen Winde ausgesetzt, der dort oben wehte. Wie in Feindesland ertönte alle zwei Stunden das Feldgeschrei:
    »Wer da? Was ist die Losung?«
    Die Arbeit war nirgends wieder aufgenommen worden; im Gegenteil, der Streik hatte sich noch verschärft: Crèvecoeur, Mirou, Magdalene stellten die Förderung ein wie die Voreuxgrube es getan hatte; in Feutry-Cantel und auf der Siegesgrube fuhren mit jedem Morgen weniger Leute an; in Sankt-Thomas, das bisher vom Streik unberührt geblieben, begannen die Leute auszubleiben. Es bestand eine stumme Hartnäckigkeit angesichts dieser Machtentfaltung, über welche die Grubenarbeiter erbittert waren. Die Arbeiterdörfer lagen verödet inmitten der Rübenfelder. Kein Arbeiter regte sich: man begegnete nur selten einem vereinzelten; der ging dann mißtrauischen Blickes und gesenkten Hauptes an den Rothosen vorüber. Unter dieser tiefen, dumpfen Stille, in dieser passiven Hartnäckigkeit, die an die Gewehre stieß, lag die erheuchelte Sanftmut, der erzwungene und geduldige Gehorsam der in den Zwinger eingeschlossenen wilden Tiere, die kein Auge von dem Tierbändiger lassen und bereit sind, ihm in den Nacken zu springen, wenn er den Rücken kehre. Die Gesellschaft, die dieser Arbeitsausstand zugrunde richtete, sprach davon, Arbeiter aus der Borinagegegend an der belgischen Grenze anzuwerben. Allein sie

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