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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wagte es nicht, und so dauerte der Kampf fort zwischen den Bergleuten, die sich in ihren Häusern einschlossen, und den toten Gruben, die von den Soldaten bewacht wurden.
    Nach jenem furchtbaren Tage war mit einem Male diese tiefe Ruhe eingetreten, unter der sich eine solche Panik barg, daß man über die verübten Schäden und Grausamkeiten das größte Stillschweigen beobachtete. Die eingeleitete Untersuchung stellte fest, daß Maigrat durch den Sturz vom Hausdache seinen Tod gefunden hatte; über die abscheuliche Verstümmelung des Leichnams konnte nichts Bestimmtes ermittelt werden. Die Gesellschaft ihrerseits verschwieg die erlittenen Schäden, und auch die Grégoire dachten nicht daran, ihre Tochter in den Skandal eines Prozesses zu verwickeln, in dem sie Zeugnis hätte ablegen müssen. Indes wurden einige Leute verhaftet, wie gewöhnlich die albernsten und harmlosesten, die nichts zu sagen wußten. Irrtümlicherweise hatte man Pierron festgenommen und gefesselt nach Marchiennes gebracht, worüber die Kameraden sehr lachten. Auch Rasseneur wäre bald von zwei Gendarmen weggeführt worden. Die Direktion begnügte sich, Entlassungslisten anzulegen; die Arbeitsbücher wurden in großer Menge zurückgestellt, auch Maheu hatte das seine erhalten und Levaque und noch vierunddreißig andere Kameraden im Dorfe der Zweihundertundvierzig allein. Die volle Strenge war gegen Etienne gerichtet, der seit dem Abend des Tumultes verschwunden war, und den man suchte, ohne eine Spur von ihm zu finden. Chaval hatte in seinem Hasse ihn angezeigt, ohne die anderen zu nennen; er gab den Bitten Katharinas Gehör, die ihre Eltern retten wollte. Die Tage gingen dahin; man fühlte, daß noch nicht alles vorüber sei, und erwartete beklommenen Gemütes das Ende.
    Seit jenen Vorfällen fuhren die Bürger von Montsou des Nachts jäh aus ihrem Schlafe empor; ihre Ohren summten von einem eingebildeten Sturmläuten, und ihre Nasen glaubten den Gestank von Schießpulver zu riechen. Vollends verstörte sie eine Predigt ihres neuen Pfarrers, des Abbé Ranvier, dieses mageren Priesters mit den Glutaugen, der dem Abbé Joire im Seelsorgeramte gefolgt war. Wo war die lächelnde Verschwiegenheit seines Vorgängers, der als wohlgenährter und sanfter Mann keine andere Sorge kannte, als mit aller Welt in Frieden zu leben! Hatte der Abbé Ranvier nicht die Kühnheit, diese abscheulichen Räuber, welche die ganze Gegend schändeten, in Schutz zu nehmen? Er fand Entschuldigungen für die Missetaten der Streikenden; er griff heftig das Bürgertum an und schob diesem die ganze Verantwortlichkeit zu. Das Bürgertum, das der Kirche ihre alten Freiheiten nahm, um sie sich selbst anzueignen, hatte aus dieser Welt einen verdammten Ort der Ungerechtigkeit und der Leiden gemacht. Das Bürgertum verlängerte die Mißverständnisse und drängte zu einer furchtbaren Katastrophe durch seine Gottlosigkeit, durch seine Weigerung, zu der Frömmigkeit und zu den brüderlichen Überlieferungen der ersten Christen zurückzukehren. Er hatte gewagt, den Reichen zu drohen; er hatte sie gewarnt, daß, wenn sie noch länger taub bleiben sollten für die Stimme Gottes, Gott sich gewiß auf die Seite der Armen stellen werde; er werde den ungläubigen Besitzenden ihre Güter nehmen und sie -- um seines Ruhmes willen -- unter die Demütigen der Erde verteilen. Die Gläubigen erbebten; der Notar erklärte, dies sei Sozialismus der schlimmsten Sorte; alle glaubten den Pfarrer schon an der Spitze einer Bande zu sehen, sein Kreuz, schwingend und mit wuchtigen Schlägen die bürgerliche Gesellschaft vom Jahre 89 niederwerfend.
    Als man Herrn Hennebeau diese Dinge erzählte, begnügte er sich achselzuckend zu bemerken:
    »Wenn er uns zu sehr belästigt, entledigt uns der Bischof seiner schon.«
    Während die Panik die Ebene von einem Ende bis zum andern durchwehte, hauste Etienne im aufgelassenen Schachte von Réquillart im Schlupfwinkel Johannes'. Hier verbarg er sich; niemand vermutete ihn so nahe; die ruhige Kühnheit dieses Zufluchtsortes in der Grube selbst, in diesem verlassenen Gange des alten Schachtes hatte alle Nachforschungen vereitelt. Die Hagedorn- und Schlehdornsträucher, die oben zwischen dem eingestürzten Gebälk des Aufzugturmes hervorgebrochen waren, verlegten den Zugang. Niemand wagte sich dahin; man mußte die Kniffe wissen, sich an den Wurzeln des Spierlingsbaumes festzuhalten und kühn abspringen, um die noch festen Leitersprossen zu erreichen; und noch andere

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