Germinal
kratzte sie die Erde auf; sie nahm davon zwei Hände voll und füllte ihm damit gewaltsam den Mund.
»Da, friß! ... Friß, nachdem du uns aufgefressen hast!« Die Beschimpfungen erneuerten sich, während der Tote, auf dem Rücken liegend, unbeweglich mit seinen starren Augen nach dem Himmel schaute, von dem die Nacht sich herabsenkte. Diese Erde, mit der man ihm den Mund vollstopfte, war das Brot, das er verweigert hatte. Künftig aß er nur mehr solches Brot. Es hatte ihm kein Glück gebracht, die armen Leute auszuhungern.
Allein die Weiber wollten noch anders ihr Mütchen an ihm kühlen. Alle suchten nach einem Schimpf, nach einer Grausamkeit, die ihnen Genugtuung verschaffen sollte.
Da hörte man die schrille Stimme der Brulé.
»Man muß ihn ausschneiden, wie einen Kater!«
»Ja, ja, los auf den Kater!... Er hat zuviel gesündigt, der Saukerl!«
Schon hatte die Mouquette ihm die Hose herabgezogen, während die Levaque ihm die Beine emporhob. Die Brulé tat mit ihren dürren Greisenhänden die nackten Schenkel auseinander und ergriff diese tote Männlichkeit. Sie hielt das Ganze in der Faust und riß daran mit einer Anstrengung, daß ihr schmaler Rücken sich spannte und ihre langen Arme krachten. Die schlaffe Haut widerstand, sie mußte wiederholt anziehen und trug schließlich den Fetzen davon, ein blutiges und behaartes Bündel Fleisch, das sie mit einem triumphierenden Lachen schüttelte.
»Ich hab's! Ich hab's!«
Die scheußliche Trophäe wurde von den kreischenden Weibern mit Verwünschungen begrüßt.
»Ha, Halunke, nicht mehr wirst du unseren Töchtern die Bäuche füllen!«
»Ja, nicht mehr wirst du dich an dem Weibe bezahlt machen; nicht mehr wirst du uns alle für ein Brot unterkriegen!«
»Ich schulde dir sechs Franken; willst du eine Abschlagszahlung nehmen? Ich bin bereit, wenn du noch kannst!«
Dieser Scherz rief eine ungeheure Heiterkeit hervor. Sie zeigten sich den blutigen Fetzen wie ein bösartiges Tier, von dem jede zu leiden hatte und das sie endlich zertraten, das sie tot in ihrer Gewalt hatten. Sie spien darauf und wiederholten in einem wütenden Ausbruch ihrer Mißachtung:
»Er kann nicht mehr. Er kann nicht mehr! Es ist kein Mann mehr, den man da in die Erde stecken wird ... Geh' und verfaule darin, Nichtsnutz!«
Die Brulé pflanzte dann das ganze Bündel auf ihren Stock; so trug sie es in der Luft wie eine Fahne und rannte damit auf der Straße voraus, gefolgt von der heulenden Weiberschar. Blutstropfen fielen herab; das Stück Fleisch hing jämmerlich an dem Stab wie ein Abfallstück in dem Schaufenster eines Metzgers. Oben an ihrem Fenster stand Frau Maigrat noch immer unbeweglich; doch im letzten Schimmer des sinkenden Tages verzerrte sich ihr bleiches Antlitz hinter den trüben Scheiben zu einem Lächeln. Sie, die Geprügelte, zu jeder Stunde Betrogene, vom Morgen bis zum Abend über ihre Bücher Gebeugte lachte vielleicht, als die Weiberschar mit dem zertretenen, bösartigen Tier auf der Spitze des Stabes dahinjagte.
Diese scheußliche Verstümmelung war inmitten eines eisigen Entsetzens geschehen. Weder Etienne noch Maheu, noch die anderen hatten Zeit dazwischenzutreten. Angesichts dieser Jagd der Furien blieben sie starr und regungslos. An der Tür der Schenke Tisons erschienen einzelne Köpfe, Rasseneur, bleich vor Entrüstung, Zacharias und Philomene, noch völlig verblüfft von dem, was sie mit angesehen. Die beiden Alten, Bonnemort und Mouque, blieben ernst und schüttelten nur den Kopf. Nur Johannes machte auch darüber seine Späße, stieß Bebert mit dem Ellbogen an, zwang Lydia in die Höhe zu schauen. Die Frauen und die Fräulein hinter den Fensterläden streckten die Hälse vor; sie hatten die Szene, die hinter der Mauer vor sich gegangen, nicht sehen können und sahen in dem vollständigen Dunkel nur undeutlich.
»Was tragen sie denn dort am Ende des Stockes?« fragte Cäcilie, die so kühn geworden, daß sie hinschaute.
Luzie und Johanna erklärten, es müsse eine Kaninchenhaut sein.
»Nein, nein,« flüsterte Frau Hennebeau; »sie werden den Wurstladen geplündert haben, es sieht aus wie ein Stück Schweinefleisch.«
In diesem Augenblicke fuhr sie zusammen und schwieg. Frau Grégoire hatte sie mit dem Knie angestoßen. Beide verhielten sich still in lebhafter Bestürzung. Die Fräulein waren sehr bleich geworden, fragten auch nicht mehr und folgten mit ihren großen Augen dieser blutigen Erscheinung im Dunkel der Nacht.
Etienne schwang von neuem
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