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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kieseln traf prasselnd das Holz.
    »Welch tolles Volk!« rief er. »Noch zwei Sekunden, und sie spalteten mir den Schädel wie einen leeren Kürbis. Dieses Lumpenpack ist taub für jedes vernünftige Wort; es bleibt nichts anderes übrig, als es zu zertreten.« Im Salon weinten die Grégoire, als sie Cäcilie das Bewußtsein wiedererlangen sahen. Es war ihr kein Leid geschehen, sie hatte nicht die geringste Schramme; nur ihr Schleier war verloren. Aber ihr Schrecken wuchs, als sie ihre Köchin Melanie erkannten, die ihnen erzählte, wie arg die Piolaine mitgenommen worden. Die Köchin war während der Verwirrung unbemerkt mit durch das Pförtchen hereingeschlüpft. Wahnsinnig vor Entsetzen, war sie herbeigeeilt. Der einzige Stein Johannes', der eine Fensterscheibe zertrümmert hatte, ward in ihrer Darstellung zu einer ordentlichen Kanonade, welche die Mauern in Trümmer legte. Da verwirrten sich die Vorstellungen des Herrn Grégoire; man erwürge seine Tochter, man schleife sein Haus; es sei also doch wahr, daß diese Grubenarbeiter ihm grollten, weil er als rechtschaffener Mann von ihrer Arbeit lebe?
    Die Kammerfrau, die ein Handtuch und Kölnisch Wasser gebracht hatte, wiederholte immer wieder:
    »Es ist so drollig, diese Leute sind nicht schlimm.«
    Frau Hennebeau saß sehr bleich da und konnte sich von ihrem Schreck, von ihrer Aufregung nicht erholen; ein Lächeln erschien auf ihren Lippen erst dann, als Negrel beglückwünscht wurde. Die Eltern Cäcilies dankten dem jungen Manne besonders; die Ehe mit Cäcilie war jetzt eine abgemachte Sache. Herr Hennebeau beobachtete im stillen; seine Augen wandten sich von seiner Frau zu diesem Liebhaber, dem er am Morgen den Tod geschworen hatte, dann zu diesem Mädchen, das ihn sicherlich bald von ihm befreien werde. Er hatte keine Eile; eine einzige Besorgnis blieb ihm: daß seine Frau noch tiefer, vielleicht bis zu einem Lakaien sinken könne.
    »Und ihr, meine lieben Kinder?« wandte Herr Deneulin sich an seine Töchter. »Ist euch nichts gebrochen?«
    Luzie und Johanna hatten wohl große Angst ausgestanden, waren aber im übrigen froh, Augenzeugen dieses Schauspiels gewesen zu sein, und lachten jetzt vergnügt.
    »Sapristi!« fuhr der Vater fort; »das ist ein schöner Tag! ... Wenn ihr eine Mitgift wollt, müßt ihr sie euch selbst erwerben, und macht euch darauf gefaßt, auch mich zu ernähren.«
    So scherzte er; aber seine Stimme zitterte dabei. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als seine Töchter sich ihm in die Arme warfen.
    Herr Hennebeau hatte dieses Geständnis des Ruins gehört, und ein plötzlich aufleuchtender Gedanke erhellte sein Antlitz. Vandame sollte jetzt wirklich in den Besitz von Montsou übergehen; das war die erhoffte Entschädigung, der Glückszug, der ihn bei den Verwaltungsräten wieder in Gunst setzen sollte. Bei jedem Unglück in seinem Leben flüchtete er hinter den genauen Vollzug der empfangenen Weisungen; aus der militärischen Disziplin, in der er lebte, bildete er sich seinen stark beschnittenen Anteil am Lebensglück.
    Die Gesellschaft gewann allmählich ihre Ruhe wieder; es senkte sich ein matter Friede auf den Salon mit dem ruhigen Lichte der beiden Lampen und geborgen zwischen den Tapeten und Vorhängen, die alle Geräusche von außen dämpften. Was geschah denn draußen? Die Schreier schwiegen; die Steine bombardierten nicht mehr die Mauer des Hauses, und man hörte nur mächtige dumpfe Schläge, wie sie zuweilen in den Wäldern weithin tönen. Man wollte wissen, was es sei, und kehrte nach dem Flur zurück, um durch die Glasscheiben der Tür einen Blick auf die Straße zu wagen. Selbst die Frauen und Fräulein gingen nach dem ersten Stock hinauf, um hinter den Fensterläden verborgen einen Ausblick zu haben.
    »Sehen Sie den Halunken Rasseneur dort drüben auf der Schwelle jenes Wirtshauses?« sagte Herr Hennebeau zu Herrn Deneulin. »Ich ahnte, daß er die Hand im Spiele habe.«
    Indes war es nicht Rasseneur, sondern Etienne, der mit Axthieben die Ladentür Maigrats einschlug. Er rief weiter die Kameraden herbei. Gehörten denn die Waren da drinnen nicht den Bergleuten? Hatten diese nicht das Recht, ihre Habe zurückzunehmen von dem Dieb, der sie seit so langer Zeit ausbeutete und auf einen Befehl der Gesellschaft sie aushungerte? Allmählich ließen alle von dem Direktionshause ab und liefen herbei, um den benachbarten Laden zu plündern. Der Ruf: Brot! Brot! Brot! grollte von neuem. Hinter dieser Tür werde man Brot finden.

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