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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Eine Hungerswut trieb sie an, als könnten sie nicht länger warten, ohne auf der Straße den Geist aufzugeben. Sie drängten mit solcher Gewalt gegen die Tür, daß Etienne jemanden mit der Axt zu verletzen fürchtete.
    Mittlerweile hatte Maigrat, nachdem er den Flur des Direktionshauses verlassen, in der Küche Zuflucht gesucht; aber dort hörte er nichts und träumte von scheußlichen Anschlägen gegen seinen Laden. Er ging also wieder hinauf und verbarg sich hinter dem Brunnen; da hörte er denn die Tür seines Ladens krachen und das Geschrei der Plünderer, in das sein Name sich mengte. Es war also kein bloßer Traum, kein Alpdruck; wenn er nicht sah. so hörte er jetzt, mit summenden Ohren konnte er den Angriff verfolgen. Jeder Streich traf ihn im Herzen; jetzt mußte eine Angel gewichen sein; noch fünf Minuten, und der Laden war ihnen preisgegeben. Das malte sich in seinem Schädel in lebendigen Schreckbildern: die Räuber, die hereinstürzten, dann die gesprengten Schubfächer, die aufgerissenen Säcke; alles ward weggefressen, weggesoffen, das Haus selbst geschleift; nichts blieb übrig, nicht einmal ein Stab, mit dem er von Dorf zu Dorf betteln gehen konnte. Nein, er wollte nicht zugeben, daß sie ihn völlig zugrunde richteten; lieber wollte er die Haut dabei lassen. Wie er da stand, bemerkte er an einem Fenster der Seitenwand seines Hauses das bleiche, verstörte, schmale Gesicht seiner Frau; mit der stummen Miene eines armen, geprügelten Wesens sah sie ohne Zweifel die Schläge kommen. Hinter dem Hause stand ein Schuppen, so daß man aus dem Garten des Direktionshauses, wenn man die Scheidewand erklomm, auf das Dach dieses Schuppens steigen und von da das Dach des Hauses erreichen konnte. Der Gedanke, auf diesem Wege heimzukehren, quälte ihn jetzt, und er machte sich selbst Vorwürfe, sein Haus verlassen zu haben. Vielleicht hatte er noch Zeit, den Laden mit Möbelstücken zu verrammeln; er ersann sogar andere kühne Verteidigungsmittel, siedendes Öl, brennendes Petroleum, das er von der Höhe auf die Belagerer hinabschütten wollte. Allein seine Habgier kämpfte mit seiner Furcht; er röchelte in seiner Feigheit, die er zu bekämpfen suchte. Bei einem heftigeren Schlag der Hacke entschloß er sich plötzlich. Der Geiz siegte; er und sein Weib wollten die Säcke mit ihren Leibern decken und lieber zugrunde gehen, als auch nur einen Laib Brot hergeben.
    Fast augenblicklich erhob sich ein Geschrei.
    »Schaut, schaut ... Der Kater ist dort oben! ... Los auf den Kater! Los auf den Kater!«
    Die Bande hatte Maigrat auf dem Dache des Schuppens entdeckt. In seiner fieberhaften Gier hatte er trotz seiner Schwerfälligkeit die Zwischenmauer flink genug erklommen; jetzt lag er platt auf dem Ziegeldache und suchte so das Fenster zu erreichen. Allein das Dach fiel zu steil ab; sein Bauch war ihm hinderlich, und er riß sich die Fingernägel aus. Dennoch wäre er bis zum Fenster emporgeklettert, wenn ihn nicht die Angst erfaßt hätte, mit Steinen beworfen zu werden. Denn die Menge unten, die er nicht mehr sah, schrie weiter:
    »Los auf den Kater! Los auf den Kater!«
    Plötzlich ließen seine beiden Hände zugleich die Ziegel los; er rollte hinab wie eine Kugel über die Dachrinne hinweg und fiel quer auf die Zwischenmauer, aber so unglücklich, daß er von da auf die Straße hinabstürzte, wo er sich an einem Prellstein den Schädel spaltete, daß das Gehirn hervorquoll. Er war tot. Sein Weib stand bleich und verstört am Fenster und schaute noch immer.
    Das Ereignis hatte zuerst allgemeine Verblüffung hervorgerufen. Etienne hielt inne, und die Axt entglitt seinen Fäusten. Maheu, Levaque und alle anderen vergaßen den Laden und schauten nach der Mauer, an der ein dünner Blutfaden herabfloß. Das Geschrei hatte aufgehört; tiefe Stille herrschte in der wachsenden Dunkelheit.
    Doch bald ging das Geheul von neuem los. Die Weiber waren herbeigeeilt, wie berauscht vom Anblick des Blutes.
    »Es gibt doch noch einen guten Gottl Ha, Schwein, jetzt ist's aus mit dir!«
    Sie umringten den noch warmen Leichnam; sie beschimpften ihn unter Hohngelächter, nannten seinen zerschmetterten Kopf eine schmutzige Fratze und schrien den lang verhaltenen Groll ihres elenden Daseins dem Toten ins Angesicht.
    »Ich schulde dir sechzig Franken; jetzt bist du bezahlt, Dieb!« sagte die Maheu, eine der Wütendsten. »Du wirst mir keinen Kredit mehr verweigern... Wart', wart', ich muß dich noch mehr mästen!«
    Mit ihren zehn Fingern

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