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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Brüderlichkeitstraum. Er hatte auf seinen Rang und sein Vermögen nur deshalb verzichtet und war unter die Arbeiter nur deshalb gegangen, weil er gehofft hatte, endlich die Gesellschaft der gemeinsamen Arbeit begründet zu sehen. Lange Zeit hatte er seine Taschen geleert, um die Münzen unter die Kinder der Arbeiterdörfer zu verteilen; er hatte den Bergleuten gegenüber eine brüderliche Zuneigung bekundet, ihr Mißtrauen belächelt und sie durch die ruhige Haltung eines pünktlichen, schweigsamen Arbeiters gewonnen. Allein die Verschmelzung wollte sich entschieden nicht vollziehen; er blieb ihnen ein Fremder mit seiner Verachtung aller Bande, mit seiner Entschlossenheit, seinen Mut zu bewahren abseits von allem Ruhm und allen Genüssen. Er war seit dem Morgen besonders erbittert durch eine Nachricht, die in allen Blättern zu lesen war.
    Seine Stimme änderte sich; seine Augen wurden heller und waren jetzt auf Etienne gerichtet, an den er sich wandte.
    »Begreifst du die Hutmacher von Marseille, die das große Los von hunderttausend Franken gewonnen und sogleich Rente gekauft haben mit der Erklärung, daß sie künftig müßig leben wollen?... Ja, das ist so euer Gedanke, ihr französischen Arbeiter: einen Schatz ausgraben und ihn nachher allein verzehren in einem Winkel der Selbstsucht und des Müßigganges. Ihr schreit lange gut gegen die Reichen: euch fehlt der Mut, den Armen das Geld wiederzugeben, welches das Glück euch zukommen läßt... Niemals seid ihr des Glückes würdig, solange ihr etwas besitzt und solange euer Haß gegen die Spießbürger einzig und allein von eurem wütenden Bedürfnisse kommt, euch an die Stelle dieser Spießbürger zu setzen.«
    Rasseneur brach in ein Gelächter aus; der Gedanke, daß die zwei Hutmacher in Marseille auf das große Los hätten verzichten sollen, schien ihm blöd. Doch Suwarin erbleichte; sein verstörtes Antlitz ward furchtbar; in einem jener leidenschaftlichen Wutausbrüche, welche die Völker ausrotten, schrie er:
    »Ihr alle werdet weggemäht, niedergeworfen, der Verwesung anheimgegeben. Es wird der erstehen, der euer Geschlecht von Feiglingen und Genußmenschen vernichten wird. Seht ihr meine Hände? Wenn meine Hände es vermöchten, würden sie die Erde packen und sie schütteln, bis sie in Stäubchen zerfiele, damit ihr unter den Trümmern liegen bleibt.«
    »Gut gesagt!« wiederholte Frau Rasseneur mit ihrer höflichen und überzeugten Miene.
    Abermals trat ein Schweigen ein. Dann sprach Etienne wieder von den belgischen Arbeitern und fragte Suwarin nach den Verfügungen, die man im Voreuxschachte getroffen. Doch der Maschinist war wieder in Nachdenken versunken und antwortete kaum. Er wußte nur, daß Kartuschen an die Soldaten verteilt wurden, welche die Grube bewachten, und das nervöse Spiel seiner Finger auf seinen Knien steigerte sich in einem Maße, daß er sich endlich dessen bewußt ward, was ihm fehlte: das seidenweiche, beruhigende Fell des Hauskaninchens.
    »Wo ist Polen?« fragte er.
    Der Schankwirt blickte auf seine Frau und lachte wieder. Nach einem kurzen Zögern entschloß er sich zu antworten.
    »Polen liegt warm«, sagte er.
    Seitdem Johannes das Kaninchen halb zu Tode gehetzt, hatte es nur mehr tote Junge geworfen. Um es nicht nutzlos zu füttern, hatte man sich just am nämlichen Tage ententschlossen, es zu schlachten und mit Kartoffeln zu braten.
    »Jawohl, du hast heut abend einen Schenkel davon gegessen und dir die Finger darnach abgeleckt.«
    Suwarin hatte nicht sogleich begriffen; dann war er leichenblaß geworden, und ein Ekel zog ihm das Kinn zusammen, während -- trotz seines stoischen Willens, -- zwei schwere Tränen ihm die Augen trübten.
    Doch man hatte nicht Zeit, diese seine Erregtheit zu bemerken; die Tür wurde heftig aufgestoßen, und Chaval erschien, Katharina vor sich her schiebend. Nachdem er sich in allen Schenken von Montsou an Bier und Prahlereien berauscht, war er auf den Einfall gekommen, sich zum »wohlfeilen Trunk« zu begeben, um den Kameraden zu zeigen, daß er keine Furcht habe. Er trat ein und schrie seiner Geliebten zu:
    »Du wirst da einen Schoppen Bier trinken, sage ich dir! Und dem ersten, der mich schief ansieht, schlage ich den Schädel ein.«
    Katharina erbleichte, als sie Etienne erblickte. Als auch Chaval seiner ansichtig ward, verzog sich sein Gesicht zu einem boshaften Grinsen.
    »Frau Rasseneur, zwei Schoppen! Wir trinken eins, weil die Arbeit wiederaufgenommen wird.«
    Die Wirtin schenkte

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