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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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anzünden und ihm leuchten, damit er die Kranke betrachten könne. Von der Decke befreit, zitterte sie unter dem flackernden Schein des Zündhölzchens, mager wie ein Vöglein, das im Schnee stirbt, und so gebrechlich, daß man nichts als den Höcker sah. Und sie lächelte noch; es war das irre Lächeln einer Sterbenden; die Augen standen weit offen, die dürren Händchen krümmten sich auf der hohlen Brust. Als die Mutter, vom Schluchzen fast erstickt, fragte, ob es einen Sinn habe, daß ihr -- vor ihr -- das einzige Kind genommen werde, das ihr in der Hauswirtschaft eine Stütze war, ein so sanftes und verständiges Kind, da wurde der Arzt böse.
    »Sie geht von hinnen! ...« rief er. »Sie ist Hungers gestorben, deine Unglückstochter! ... Und sie ist nicht die einzige; nebenan habe ich noch eine gesehen. Ihr ruft mich alle, aber ich kann nichts tun. Ihr braucht Fleisch, um gesund zu werden!«
    Maheu hatte das Zündhölzchen fallen lassen, weil es ihm die Finger brannte, und die Finsternis senkte sich wieder auf die kleine, noch warme Leiche. Der Arzt war wieder davongelaufen. Etienne hörte in der finstern Stube nichts mehr als das Schluchzen der Maheu, die immerfort den Tod herbeirief und endlos ihre Klage wiederholte:
    »Gott, nimm mich zu dir! Jetzt, ist an mir die Reihe! ... Gott, nimm meinen Mann zu dir und die anderen aus Erbarmen, um ein Ende zu machen!!«
     

Drittes Kapitel
    An einem Dienstag war's, da saß Suwarin schon um acht Uhr allein in der Trinkstube des Wirtshauses »zum wohlfeilen Trunk« an seinem gewohnten Platze, das Haupt an die Mauer gelehnt. Kein einziger Bergmann hatte mehr die zwei Sous für einen Schoppen Bier; niemals hatten die Trinkhäuser so wenig Gäste. Frau Rasseneur saß denn auch verdrossen vor ihrem Schankpult, während Rasseneur, vor dem gußeisernen Kamin stehend, mit nachdenklicher Miene dem rötlichen Rauch der Kohle zu folgen schien.
    In der tiefen Stille der überheizten Stube waren plötzlich drei leise Schläge an eine Fensterscheibe hörbar, die Suwarin veranlaßten, den Kopf zu wenden. Er erhob sich, denn er hatte das Zeichen erkannt, dessen Etienne sich schon wiederholt bedient hatte, um ihn zu rufen, wenn er ihn von draußen sah, wie er an einem leeren Tische sitzend seine Zigarette rauchte. Doch ehe noch der Maschinist die Tür erreichte, hatte Rasseneur sie geöffnet; als er den Mann erkannte, der in der Helle des Fensters da stand, sagte er ihm:
    »Hast du Furcht, daß ich dich verrate? ... Ihr könnt hier bequemer plaudern als auf der Straße.«
    Etienne trat ein. Frau Rasseneur bot ihm höflich einen Schoppen an, doch er lehnte mit einer Handbewegung ab. Der Schankwirt fügte hinzu:
    »Ich habe längst erraten, wo du dich verbirgst. Wenn ich ein Spion wäre, wie deine Freunde behaupten, hätte ich dir schon seit acht Tagen die Gendarmen schicken können.«
    »Du hast es nicht nötig, dich zu verteidigen,« antwortete der junge Mann; ich weiß, daß du niemals dieses Brot gegessen hast ... Man kann verschiedene Ansichten haben und sich dennoch gegenseitig schätzen.«
    Wieder trat eine Stille ein. Suwarin hatte sich wieder auf seinen Sessel niedergelassen mit dem Rücken gegen die Wand und blickte dem Rauch seiner Zigarette nach; aber seine Finger zitterten vor Ungeduld; er fuhr damit über seine Knie und suchte das warme Fell des Kaninchens Polen, das an diesem Abend abwesend war. Es war ein unbewußtes Mißbehagen; ihm fehlte etwas, und er wußte nicht was.
    Etienne ließ sich auf der andern Seite des Tisches nieder und sagte endlich:
    »Morgen wird in der Voreuxgrube die Arbeit aufgenommen. Der kleine Negrel ist mit den Belgiern eingetroffen.«
    »Ja, sie sind nach Anbruch der Nacht ausgeladen worden«, murmelte Rasseneur, der neben ihm stand. »Wenn nur nicht wieder ein Gemetzel daraus wird.«
    Dann fuhr er mit lauterer Stimme fort:
    »Ich will mit dir nicht wieder Streit beginnen, aber es nimmt ein schlimmes Ende, wenn ihr in eurer Hartnäckigkeit beharrt ... Eure Geschichte ist genau dieselbe wie die deiner Internationale. Ich habe vorgestern Pluchart in Lille getroffen, wo ich zu tun hatte. Seine Maschine geht aus den Fugen, wie es scheint.«
    Er führte Einzelheiten an. Der Bund hatte in einem Aufschwung seiner Propaganda, der die Bürgerklasse erzittern ließ, die Arbeiter der ganzen Welt erobert und ging jetzt in die Brüche, wurde mit jedem Tage mehr zerstört durch den innern Kampf der eitlen und ehrgeizigen Strebungen. Seitdem die Anarchisten in

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