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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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der Reife, der unter den Erschütterungen dieses furchtbaren Tages endlich hervorbrach. Wieder ein Glücksfall, diese Wunde! Ein schönes Geschenk, Kinder machen zu können, die später von den Gendarmen ermordet werden sollten. Sie sprach kein Wort zu Katharina, noch auch zu Etienne. Dieser schlief bei Johannes auf die Gefahr hin verhaftet zu werden, von einem solchen Widerstreben gegen den Gedanken an eine Rückkehr nach der Réquillartgrube erfaßt, daß er das Gefängnis vorzog; ein Schauder schüttelte ihn, das Entsetzen vor der Nacht nach so vielen Morden, die uneingestandene Furcht vor dem kleinen Soldaten, der dort unter den Felsen schlief. In dem Kummer über seine Niederlage erschien ihm übrigens das Gefängnis wie ein Zufluchtsort; doch man behelligte ihn nicht, und er brachte seine Stunden trostlos hin; er wußte nicht, wie er seinen Körper ermüden solle. Zuweilen betrachtete die Maheu beide, ihn und ihre Tochter, mit einer grollenden Mine, [?]]Miene] die zu fragen schien, was sie in ihrem Hause suchten.
    Jetzt schnarchten wieder alle in einem Haufen; der Vater Bonnemort hatte das frühere Bett der beiden Kleinen, die jetzt bei Katharina schliefen, weil die arme Alzire nicht mehr ihren Höcker der großen Schwester in die Seiten stieß. Erst wenn sie schlafen ging, fühlte die Mutter so recht die Leere des Hauses an der Kälte des Bettes, das ihr zu breit geworden. Vergebens nahm sie Estelle zu sich, um die Lücke auszufüllen; es war kein Ersatz für ihren Mann. Stundenlang weinte sie still für sich hin. Dann nahmen die Tage wieder ihren Lauf wie ehedem; man hatte noch immer kein Brot und auch keine Aussicht, auf einmal hinzuwerden; rechts und links ward allerlei Zeug aufgelesen, das den Bejammernswerten den Dienst erwies, ihr Leben zu verlängern. Nichts hatte sich in ihrem Leben geändert; nur ihr Mann war nicht mehr da.
    Am Nachmittag des fünften Tages verließ Etienne, gequält durch den Anblick dieses stillen Weibes, die Wohnstube und ging mit langsamen Schritten die gepflasterte Straße des Dorfes hinab. Die Untätigkeit, die ihn bedrückte, drängte ihn zu unaufhörlichen Spaziergängen, bei denen er, immer von dem nämlichen Gedanken heimgesucht, mit hängenden Armen und gesenktem Kopfe dahinschritt. Er mochte so seit einer halben Stunde auf der Straße fortgegangen sein, als ein erhöhtes Unbehagen ihn merken ließ, daß die Kameraden vor die Haustüren traten und ihm nachsahen. Das Wenige, was ihm von seiner Volkstümlichkeit noch geblieben, war mit den Schüssen verflogen; er konnte nicht mehr durch die Straße gehen, ohne haßerfüllten Blicken zu begegnen. Wenn er das Haupt erhob, sah er Männer in drohender Haltung auf der Schwelle der Haustüren; die Weiber schoben die kleinen Vorhänge von den Fenstern weg, um hinauszuschauen; und bei dieser stummen Anklage, bei dem unterdrückten Zorn, der aus diesen großen, durch Hunger und Tränen erweiterten Augen funkelte, verlor er seine Fassung und die Sicherheit seines Ganges. Die stummen Vorwürfe wuchsen hinter ihm immer mehr an. Angesichts dieses ganzen Dorfes, das auf die Straße herauskam, um ihm sein Elend ins Gesicht zu schreien, ward er von einer solchen Furcht erfaßt, daß er zusammenfuhr und den Rückweg antrat.
    Doch die Szene, die ihn erwartete, verstörte ihn vollends. Der alte Bonnemort saß neben dem kalten Kamin, auf seinem Sessel festgenagelt, seitdem zwei Nachbarn am Tage des Gemetzels ihn neben seinem zersplitterten Stabe, wie einen vom Blitz gefällten alten Baum, auf der Erde liegend gefunden hatten. Während Leonore und Heinrich, um ihren Hunger zu täuschen, mit betäubendem Geräusch eine alte Schüssel auskratzten, in der am vorhergehenden Tage Kohl gekocht worden, drohte die Maheu, die aufrecht vor dem Tische stand, auf den sie Estelle gelegt hatte, ihrer Tochter Katharina mit der Faust.
    »Sag' das noch einmal!« schrie sie.
    Katharina hatte ihre Absicht ausgesprochen, nach der Voreuxgrube zurückzukehren. Der Gedanke, ihr Brot nicht zu erwerben, bei ihrer Mutter nur geduldet zu werden wie ein lästiges, unnützes Tier, ward ihr mit jedem Tage unerträglicher. Hätte sie nicht einen bösen Streich von seiten Chavals gefürchtet, sie wäre schon am Dienstag angefahren.
    »Was willst du? Man kann nicht müßig leben«, stammelte sie. »Wir haben dann wenigstens Brot.«
    Die Maheu unterbrach sie.
    »Höre, ich erwürge den ersten von euch, der zur Arbeit zurückkehrt ... Es wäre zu stark, den Vater zu töten und

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