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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Ungeheuer Kapital aufgefressen, in der steigenden Flut der großen Gesellschaften ertränkt wurden. Er allein zahlte die Kosten des Streiks; er fühlte wohl, daß man auf sein Unglück trank, indem man auf die Rosette der Ehrenlegion des Herrn Hennebeau trank, und schöpfte nur ein wenig Trost aus dem frohen Mut seiner Töchter, die reizend waren in ihren aufgefrischten Toiletten und über ihren Ruin nur lachten wie hübsche Mädchen mit burschenmäßigen Manieren, die sich aus dem Gelde nichts machten.
    Als man in den Salon hinüberging, um dort den Kaffee zu nehmen, führte Herr Grégoire seinen Vetter beiseite und beglückwünschte ihn zu seinem mutigen Entschlüsse.
    »Was willst du? Dein einziger Fehler war der, daß du deinen Anteil an Montsou, eine Million, in Vandame riskiertest. Du hast dich furchtbar geplagt, und das Geld ist in dieser Hundearbeit aufgegangen, während das meine ruhig im Schranke geblieben ist und mich schön ernährt, ohne daß ich eine Hand zu rühren brauche, wie es noch die Kinder meiner Enkelkinder nähren wird.«
     

Zweites Kapitel
    Als am Sonntag die Nacht hereinbrach, schlich Etienne zum Dorfe hinaus. Ein klarer, gestirnter Himmel verbreitete ein blaues Dämmerlicht über die Erde. Er ging zum Kanal hinab und folgte langsam der Böschung in der Richtung nach Marchiennes. Es war sein Lieblingsspaziergang, ein grasbewachsener Weg von zwei Meilen Länge, der sich geradeaus neben der mit geometrischer Genauigkeit gezogenen Linie des Kanals hinzog, welcher gleich einem endlosen Stück flüssigen Silbers verlief.
    Hier begegnete er niemals einem Menschen. Er war deshalb auch unangenehm überrascht, als er an diesem Abend einen Mann auf sich zukommen sah. Im fahlen Lichte der Sterne erkannten die beiden einsamen Spaziergänger sich erst, als sie ganz nahe einander gegenüberstanden.
    »Du bist's!« flüsterte Etienne.
    Suwarin nickte, ohne zu antworten. Einen Augenblick standen sie unbeweglich da; dann setzten sie Seite an Seite den Weg nach Marchiennes fort. Jeder schien seine Gedanken fortzuspinnen, als seien sie sehr weit voneinander.
    »Hast du von den Pariser Erfolgen Plucharts in der Zeitung gelesen?« fragte endlich Etienne. »Man erwartete ihn auf dem Bürgersteig und brachte ihm laute Ehrenbezeigungen, als er die in der Vorstadt Belleville stattgehabte Versammlung verließ ... Der Mann ist im Zuge trotz seines ewigen Schnupfens; er wird seinen Weg machen.«
    Der Maschinist zuckte mit den Achseln. Er verachtete die Schönredner, diese Kerle, die in die Politik eintreten, wie man in die Advokatie eintritt, um mit Redensarten Renten zu erwerben.
    Etienne war jetzt bei Darwin angelangt. Er hatte Bruchstücke seiner Werke in einer gekürzten, volkstümlichen Ausgabe zu fünf Sous gelesen; nach diesem halb verstandenen Buche machte er sich ein umstürzlerisches Bild von dem Kampfe um das Dasein, in dem die Mageren die Fetten verzehren, das starke Volk das bleiche Spießbürgertum verschlingt. Doch Suwarin geriet in Zorn und ließ sich über die Dummheit der Sozialisten aus, die sich auf Darwin berufen, diesen Apostel der wissenschaftlichen Ungleichheit, dessen berühmte »Zuchtwahl« nur für aristokratische Philosophen gut sei. Allein der Kamerad war eigensinnig und wollte den andern mit Vernunftgründen unterkriegen; er drückte seine Zweifel durch folgende Annahme aus: Die alte Gesellschaft existierte nicht mehr, man hatte sie bis auf die letzten Reste weggefegt; war da nicht zu befürchten, daß die neu erstehende Welt von denselben Ungerechtigkeiten allmählich verdorben würde, eine Welt, in der die einen krank, die anderen gesund, die einen geschickter und klüger sind und, alles zu ihrem Vorteil benutzend, die anderen blöd und dumm und wieder zu Sklaven werden? Angesichts dieses ewigen Elends schrie der Maschinist mit wütender Stimme: »Wenn die Gerechtigkeit mit dem Menschen unmöglich ist, muß der Mensch verschwinden. So viele verfaulte Gesellschaften, ebenso viele Gemetzel, bis das letzte Wesen ausgerottet ist.« Da trat wieder ein Schweigen zwischen ihnen ein.
    Gesenkten Hauptes ging Suwarin auf dem feinen Grase dahin, dermaßen in seine Gedanken versunken, daß er am äußersten Rande des Wassers wandelte mit der ruhigen Sicherheit eines Menschen, der auf dem Dache eingeschlafen ist und neben der Rinne liegend sich seinen Träumen überläßt. Dann fuhr er plötzlich zusammen, scheinbar ohne Ursache, als sei er auf einen Schatten gestoßen. Er blickte auf mit seinem

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