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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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kriegen!« rief Chaval höhnisch, voll Freude über diese Rache. »Jeder kommt an die Reihe... Nun klebst du an der Mauer, schmutziger Lumpenkerl!«
    Auch er stürzte sich mit Steinwürfen auf Etienne. Ein wildes Geschrei erhob sich; alle ergriffen Ziegel, zerbrachen sie und schleuderten sie nach ihm, um ihn »auszuweiden«, wie sie die Soldaten hatten ausweiden wollen. Er hatte den Kopf verloren und floh nicht mehr; er hielt ihnen stand und suchte sie mit Worten zu beschwichtigen. Seine früheren Reden, die ehemals mit so warmem Beifall aufgenommen waren, drängten sich ihm wieder auf die Lippen. Er wiederholte die Worte, mit denen er sie betäubt hatte zu jener Zeit, als er sie in seiner Gewalt hatte wie eine getreue Herde; allein seine Macht war tot, nur Steine waren die Antwort. Da traf ihn ein Wurf am linken Arm; er wich zurück, die Gefahr war groß, er war an die Mauer des Wirtshauses gedrängt worden.
    Seit einer Weile stand Rasseneur auf der Schwelle.
    »Komm herein!« sagte er einfach.
    Etienne zögerte; es bedrückte ihn der Gedanke, hier Zuflucht zu suchen.
    »Komm herein; ich will mit den Leuten reden.«
    Er entschloß sich und verbarg sich im Hintergrunde des Saales, während der Schankwirt mit seinen breiten Schultern den Eingang verstellte.
    »Höret, meine Freunde, nehmet doch Vernunft an!... Ihr wißt wohl, daß ich euch niemals getäuscht habe. Ich war stets für die Ruhe; hättet ihr mir Gehör gegeben, ihr wäret heute gewiß nicht dort, wo ihr seid.«
    Die Schultern und den Leib wiegend, sprach er lange in diesem Tone; seine leichte Beredsamkeit sprudelte wohltuend und besänftigend hervor wie warmes Wasser. Sein ehemaliger Erfolg stellte sich voll und ganz wieder ein; er gewann seine Volkstümlichkeit wieder ohne Anstrengung ganz natürlich, als hätten die Kameraden nicht einen Monat früher ihn verhöhnt und einen Feigling geschimpft. Einzelne Stimmen gaben ihm recht. Sehr gut! Man halte zu ihm, hieß es. So müsse man reden. Alle klatschten ihm Beifall.
    Etienne im Saale fühlte seine Kräfte schwinden und sein Herz mit Bitternis sich füllen. Er erinnerte sich, was Rasseneur im Walde ihm vorausgesagt, wie er ihm mit dem Undank der Menge gedroht hatte. Welch' blöde Roheit! welch' schmähliches Vergessen der geleisteten Dienste! Es war eine blinde Macht, die fortwährend sich selbst verzehrte. Unter seinem Zorn über diese Unvernünftigen, die so ihre Sache verdarben, barg sich die Verzweiflung über den eigenen Sturz, über das traurige Ende seines ehrgeizigen Strebens. Wie? War es schon aus? Er erinnerte sich, daß unter den Buchen des Waldes von Vandame dreitausend Herzen unter der Macht seiner Worte höher geschlagen hatten. An jenem Tage hatte er seine Volkstümlichkeit in beiden Händen; dieses Volk gehörte ihm; er fühlte sich als sein Herr. Wahnsinnige Träume hatten ihn damals betäubt; Montsou lag zu seinen Füßen; er sah sich als Abgeordneten in Paris, die Spießbürger mit einer Rede zu Boden schmetternd, der erste Arbeiter auf der Parlamentstribüne. Jetzt war's aus! Er erwachte als ein Erbärmlicher und Verachteter; sein Volk schickte ihn mit Steinwürfen heim.
    Rasseneurs Stimme erhob sich von neuem.
    »Die Gewalt hat niemals zu einem Erfolg geführt; man kann die Welt nicht in einem Tage ändern. Die euch versprochen haben, alles mit einem Schlage zu ändern, sind Spaßvögel oder Schurken.«
    »Bravo! Bravo!« schrie die Menge.
    Wer war also der Schuldige? Diese Frage, die Etienne sich vorlegte, drückte ihn vollends nieder. Dieses Unglück, unter dem er selbst blutete; das Elend der einen, das Erwürgen der anderen, das Darben dieser Weiber und Kinder: war all dies wirklich seine Schuld? Eines Abends vor den Katastrophen tauchte dieses trübselige Bild vor ihm auf. Doch schon richtete eine Kraft ihn auf; er fühlte sich mit den Kameraden fortgerissen. Übrigens hatte er sie niemals geleitet; vielmehr waren sie es, die ihn führten, die ihn nötigten, Dinge zu tun, die er ohne das ungestüme Drängen dieser Menge nicht getan haben würde. Bei jeder neuen Gewalttat hatte er unter dem verblüffenden Eindruck der Ereignisse gestanden, denn er hatte keines vorausgesehen, noch auch gewollt. Konnte er beispielsweise darauf gefaßt sein, daß seine Kameraden im Dorfe ihn eines Tages steinigen würden? Die Tollhäusler logen, wenn sie behaupteten, daß er ihnen ein Schlaraffenleben versprochen habe, In diesem Gerichte, das er über sich selbst hielt, hinter den Vernunftgründen,

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