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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ihre Tochter bei der eingestürzten Grube den Wagen verließen, fanden sie daselbst Frau Hennebeau, die zuerst gekommen war. Sie trug eine marineblaue Toilette und schützte sich mit einem Schirm gegen die bleiche Februarsonne. Der Himmel war sehr klar, das Wetter mild wie im Frühjahr. Herr Hennebeau war schon da in Gesellschaft des Herrn Deneulin; er hörte mit zerstreutem Sinn die Erklärungen, die der letztere ihm über die großen Anstrengungen gab, die man hatte machen müssen, um den Kanal einzudämmen. Johanna, die stets ein Zeichenalbum mit sich führte, entwarf eine Skizze, entzückt von dem furchtbar-schönen Motiv; während Luzie, die auf einem zertrümmerten Karren neben ihr saß, gleichfalls Rufe wohlgefälligen Erstaunens ausstieß. Der Damm war noch unfertig und ließ durch zahlreiche Risse das Wasser durchsickern, das sich als schäumender Wasserfall in die ungeheure Grube ergoß. Indes leerte sich der Krater allmählich; das Wasser ward von der Erde eingesogen; es sank immer mehr, so daß das furchtbare Durcheinander am Boden der Grube sichtbar wurde. Im zarten blauen Lichte des schönen Tages war es eine greuliche Kloake, gleichsam die Ruinen einer versunkenen, in Schmutz aufgelösten Stadt.
    »Es lohnt wahrlich nicht die Mühe, sich das anzusehen!« rief Grégoire enttäuscht.
    Cäcilie, rosig in ihrer blühenden Gesundheit, war glücklich, die reine Luft einzuatmen; sie scherzte in ihrem Frohsinn, während Frau Hennebeau ein angewidertes Mäulchen machte.
    »Es ist wirklich nicht hübsch«, sagte sie.
    Die beiden Ingenieure lachten. Sie suchten die Besucher für die Sache zu interessieren, führten sie überall herum, erklärten ihnen die Arbeit der Pumpe und des Stößers, der die Pfähle einrammte. Doch die Damen wurden unruhig; sie schauerten zusammen, als sie erfuhren, daß die Pumpen vielleicht sechs, sieben Jahre zu arbeiten hätten, ehe die Grube leergepumpt sein würde und wieder in einen betriebsfähigen Zustand gebracht werden könne. Nein, sie wollten lieber an anderes denken; diese Verwüstung verursache nur schlechte Träume.
    »Brechen wir auf«, sagte Frau Hennebeau und lenkte ihre Schritte zu dem Wagen.
    Johanna und Luzie widersprachen. Wie, so schnell? Die Zeichnung war noch nicht fertig. Sie wollten noch bleiben; der Vater werde sie am Abend zum Essen begleiten. Herr Hennebeau allein nahm mit seiner Frau im Wagen Platz; denn auch er wollte Negrel befragen.
    »Gut, fahren Sie voraus«, sagte Herr Grégoire. »Wir folgen Ihnen bald; wir haben nur einen kurzen Besuch im Arbeiterdorfe zu machen, hoffen aber gleichzeitig mit Ihnen in Réquillart einzutreffen.«
    Er stieg hinter Frau und Tochter ein; und während der andere Wagen längs des Kanals dahinfuhr, erklomm der ihre langsam den Abhang des Arbeiterdorfes.
    Sie wollten den Ausflug mit einer milden Handlung beschließen. Der Tod Zacharias' hatte sie mit tiefem Mitleid für die unglückliche Familie Maheu, erfüllt, von der in der ganzen Gegend gesprochen wurde. Sie beklagten nicht den Vater, diesen Räuber, diesen Soldatentöter, den man hatte niederschlagen müssen wie einen Wolf. Nur das Schicksal der Mutter rührte sie, dieser armen Frau, die ihren Sohn verlor, nachdem sie den Gatten verloren, und deren Tochter -- in der Grube verschüttet -- vielleicht auch schon eine Leiche war; außerdem sprach man von einem siechen Großvater, von einem Sohne, dem ein Einsturz die Beine zerschlagen, und von einer Tochter, die während des Streiks Hungers gestorben war. Hatte auch die Familie ihr Unglück zum Teil verdient, so hatten sie doch beschlossen, ihre Mildtätigkeit und Versöhnlichkeit zu bekunden, indem sie selbst ein Almosen brachten. Unter einer Sitzbank ihres Wagens lagen zwei sorgfältig eingehüllte Pakete.
    Ein altes Weib zeigte dem Kutscher das Haus der Maheu, Nummer 16 im zweiten Block. Doch als die Grégoire mit ihren Paketen den Wagen verlassen hatten, klopften sie vergebens an; schließlich bearbeiteten sie die Tür mit ihren Fäusten, ohne indes eine Antwort zu bekommen; das Haus hallte trübselig wider wie eine durch den Tod geleerte, eisigdüstere, längst verlassene Wohnstätte.
    »Es ist niemand da«, sagte Cäcilie enttäuscht. »Das ist aber ärgerlich! Was sollen wir mit all dem Zeug anfangen?«
    Plötzlich öffnte[[?]öffnete] sich die Tür des Nachbarhauses und die Levaque erschien.
    »Ach, bitte tausendmal um Vergebung, gnädiger Herr und gnädige Frau! ... Entschuldigen Sie, gnädiges Fräulein! ... Sie

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