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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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der Ingenieur drei Wege in absteigender Richtung durch die Ader schlagen lassen, die nach dem Punkte liefen, wo man die eingeschlossenen Arbeiter vermutete. Ein einziger Häuer konnte in dem engen Schlauch die Kohle schlagen; alle zwei Stunden ward er abgelöst; die Kohle ward in Körben hinausbefördert, die von Hand zu Hand gingen, durch eine Kette von Menschen, die sich in dem Maße verlängerte, als man in dem Loche vordrang. Anfänglich ging die Arbeit sehr rasch: man kam an einem Tage sechs Meter weit.
    Zacharias hatte die Erlaubnis erhalten, mit zu der auserlesenen Mannschaft zu gehören, welche die Gänge anlegte. Es war dies ein Ehrenposten, um den man sich stritt. Er wurde böse, als man nach den vorschriftsmäßigen zwei Stunden schwerer Arbeit ihn ablösen wollte. Er prellte die Kameraden um ihren Anteil an der Arbeit und weigerte sich, die Spitzhacke aus der Hand zu legen. Sein Weg war den anderen bald voraus; er bearbeitete die Kohle mit einem solchen Feuereifer, daß man aus dem Schlauche seinen fauchenden Atem hörte, der aus einer unterirdischen Schmiedeesse zu kommen schien. Als er schwarz und beschmutzt, von der Müdigkeit betäubt hervorkroch, sank er zu Boden; man mußte ihn in eine Decke hüllen. Dann stieg er --- noch wankend --- wieder hinab, und der Kampf begann von neuem, die schweren, dumpfen Schläge, die unterdrückten Klagen, ein siegreiches Kämpfen. Das Schlimmste war, daß die Kohle jetzt hart wurde; zweimal zerbrach er seine Geräte in seiner Verzweiflung, nicht rasch genug vorwärts zu kommen. Er litt auch durch die Hitze, die mit jedem Meter, um den er vorrückte, zunahm und unerträglich wurde in der Tiefe dieses engen Schlundes, wo es keine Luftströmung gab. Wohl war ein Handventilator in Tätigkeit gesetzt worden; allein die Lüftung wollte nicht recht gelingen; dreimal wurden ohnmächtige Häuer herausgeholt, die zu ersticken drohten.
    Negrel lebte mit seinen Arbeitern in der Grube. Man brachte ihm seine Mahlzeiten dahin; zuweilen schlief er zwei Stunden auf einem Bund Stroh, in seinen Mantel gehüllt. Der Mut aber ward nur aufrecht erhalten durch das Flehen der Unglücklichen da unten, durch den immer deutlicher vernehmbaren Anruf, den sie an die Kohlenwand schlugen, damit man sich beeile. Der Anruf tönte jetzt sehr hell, mit einer musikalischen Klangfülle, wie auf den Klappen einer Harmonika. Der Anruf gab den Arbeitern die Richtung; bei diesem kristallhellen Geräusche drangen sie vor, wie man in den Schlachten bei dem Kanonendonner vorrückt. Jedesmal, wenn ein Häuer abgelöst wurde, stieg Negrel hinab, klopfte an die Wand und preßte sein Ohr daran; und jedesmal -- bis jetzt -- war rasch und dringlich die Antwort gekommen. Er hatte keinen Zweifel mehr; man bewegte sich in der rechten Richtung; aber welche verhängnisvolle Langsamkeit! Man werde gewiß nicht rechtzeitig ankommen. Wohl hatte man in zwei Tagen dreizehn Meter abgeschlagen; allein am dritten Tage brachte man nur mehr fünf Meter fertig, am vierten Tage nur drei Meter. Die Kohle wurde immer dichter und härter, so daß man jetzt kaum zwei Meter in einem Tage abteufte. Am neunten Tage war man --- nach übermenschlichen Anstrengungen --- zweiunddreißig Meter tief eingedrungen, und man berechnete, daß man noch zwanzig Meter durchzuschlagen habe. Für die Gefangenen begann der zwölfte Tag, zwölf mal vierundzwanzig Stunden ohne Brot, ohne Feuer, in eisiger Finsternis! Dieser entsetzliche Gedanke trieb allen die Tränen in die Augen und verlieh den ermattenden Armen neue Kraft zur Arbeit. Es schien unmöglich, daß Christenmenschen länger aushalten könnten; die fernen Schläge wurden seit gestern schwächer; man zitterte jeden Augenblick, daß sie ganz aufhören könnten.
    Frau Maheu erschien jeden Tag regelmäßig, um sich an der Mündung des Schachtes niederzusetzen. Sie brachte auf ihrem Arm Estelle mit, die nicht vom Morgen bis zum Abend allein bleiben konnte. Stunde um Stunde verfolgte sie so die Arbeit, teilte die Hoffnungen und die Entmutigung der Arbeiter. In den harrenden Gruppen, und weit umher, bis nach Montsou, herrschte eine fieberhafte Erwartung, ein endloser Austausch von Meinungen und Bemerkungen. Alle Herzen des Landes schlugen dort unten unter der Erde.
    Als man am neunten Tage zur Frühstücksstunde Zacharias rief, um ihn ablösen zu lassen, antwortete er nicht. Er war wie wahnsinnig und hieb unter fortwährenden Flüchen auf die Wand ein. Negrel, der einen Augenblick den Gang verlassen

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