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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sogleich«, antwortete Cäcilie.
    Sie blieb mit Bonnemort allein. Was die Zitternde hier festbannte, war der Umstand, daß sie diesen Alten wiederzuerkennen glaubte. Wo hatte sie dieses viereckige, fahle, von der Kohle besprenkelte Gesicht schon gesehen? Plötzlich erinnerte sie sich; sie sah eine heulende Volksmenge wieder, die sie umgab; sie fühlte kalte Hände, die ihr den Hals preßten. Er war es; sie fand den Mann wieder, sie betrachtete die auf den Knien ruhenden Hände, diese Hände eines hockenden Arbeiters, dessen ganze Kraft in den -- trotz des Alters noch festen -- Handknöcheln lag. Bonnemort schien allmählich zu erwachen; er bemerkte sie und betrachtete sie mit seiner blöden Miene. Eine Flamme stieg in seine Wangen empor; ein nervöser Ruck verzerrte seinen Mund, aus dem ein dünner Faden schwarzen Speichels herausfloß. Zueinander hingezogen blieben sie einander gegenüber, sie blühend, frisch und wohlgenährt von der langen Trägheit und dem gesättigten Wohlergehen ihres Geschlechts; er vom Wasser aufgedunsen, in der jämmerlichen Scheußlichkeit eines verschlagenen Tieres, verdorben vom Vater auf den Sohn durch ein Jahrhundert voller Arbeit und Hunger.
    Als die Grégoire überrascht, Cäcilie nicht kommen zu sehen, nach zehn Minuten zu den Maheu zurückkehrten, brachen sie in ein furchtbares Geschrei aus. Cäcilie lag auf der Erde mit blauem Gesichte erwürgt; an ihrem Halse waren die roten Spuren einer Riesenfaust zu sehen. Bonnemort war, auf seinen lahmen Beinen wackelnd, neben ihr zu Boden gesunken und konnte sich nicht erheben. Noch waren seine Hände gekrümmt; er betrachtete die Menschen mit seiner blöden Miene und weit offenen Augen. In seinem Sturze hatte er seine Schüssel zerschlagen; die Asche war verschüttet worden und der Schmutz des schwarzen Speichels hatte die ganze Stube vollgespritzt. Das mitgebrachte Paar plumper Schuhe stand heil und unberührt an der Wand.
    Es ist niemals gelungen, den Sachverhalt dieses schrecklichen Ereignisses genau festzustellen. Warum hatte Cäcilie sich ihm genähert? Wie hatte der an seinen Stuhl gefesselte Bonnemort sie am Halse fassen können? Augenscheinlich mußte er, als er sie einmal festhielt, in blinder Wut sie immer stärker gewürgt, ihr Schreien erstickt haben und mit ihr zu Boden gestürzt sein, bis sie mit dem letzten Röcheln den Geist aufgab. Kein Geräusch, keine Klage war durch die dünne Scheidewand des Nachbarhauses gedrungen. Man mußte an einen plötzlichen Tollheitsausbruch glauben, an eine unerklärliche Mordgier bei dem Anblick des weißen Halses dieses Mädchens. Eine solche Wildheit mußte verblüffen bei diesem siechen Greise, der bisher als rechtschaffener Mensch gelebt, als fügsames Tier, allen neuen Gedanken fremd. Welches Rachegelüst --- ihm selbst unbekannt --- war aus seinem Innern in seinen Schädel emporgestiegen? In dem Entsetzen über diese Schauertat gelangte man zu dem Schlusse, daß ein unbewußtes Verbrechen geschehen, das Verbrechen eines Blödsinnigen.
    Die Grégoire lagen schluchzend, vom Schmerze erstickt, am Boden vor ihrer angebeteten Tochter, dieser so lang ersehnten Tochter, die sie mit allem Guten überhäuft hatten, zu deren Bett sie auf den Fußspitzen geschlichen waren, um sie schlafen zu sehen, die sie nie genährt genug, nie fett genug gefunden hatten. Mit ihr sank auch ihr eigenes Dasein in Trümmer; wozu fortan noch leben, da sie ohne Gäcilie leben sollten?
    Die Levaque schrie außer sich:
    »Der alte Lumpenkerl! Was hat er da angerichtet? Wer hätte solches vermuten können?... Und die Maheu wollte heute abend gar nicht heimkehren. Soll ich sie holen?«
    Die Eltern der Ermordeten antworteten nicht; sie waren vernichtet.
    »Ja, es wird besser sein... Ich gehe sie holen.«
    Doch bevor sie hinausging, warf die Levaque ihre Blicke auf die Schuhe. Das Dorf war in Aufregung geraten, die Menge drängte sich schon vor dem Hause; wie leicht könnten die Schuhe gestohlen werden. Auch war bei den Maheu kein Mann mehr da, um sie zu tragen. Sachte trug sie die Schuhe weg; sie mußten dem Bouteloup genau passen.
    Das Ehepaar Hennebeau wartete in Réquillart mit Negrel lange auf die Grégoire. Der Ingenieur war aus der Grube heraufgekommen und erzählte Einzelheiten: man hoffe noch am Abend des nämlichen Tages die Verbindung mit den Eingeschlossenen herzustellen, aber man werde sicherlich nur Leichen finden, denn die Totenstille dauere fort. Hinter dem Ingenieur saß die Maheu auf einem Balken und hörte

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